Berlinale 16: CARTAS DA GUERRA von Ivo M. Ferreira (Wettbewerb)

Miguel Nunes
Miguel Nunes

Briefe aus dem Krieg sind die Grundlage dieses portugiesischen Films. Es sind die Briefe, welche der spätere Schriftsteller und Arzt António Lobo Antunes zwischen 1971 und 1973 aus dem portugiesischen Kolonialkrieg in Angola an seine Frau zuhause geschrieben hat. Sie sind als Buch erschienen: D’Este Viver Aqui Neste Papel Descripto, Cartas da Guerra, herausgegeben von seinen Kindern, Maria José and Joana Lobo Antunes, im Jahr 2005.

Berlinale_Balken_2016

Der Arzt war neunundzwanzig Jahre alt, als er zum Militärdienst eingezogen und schliesslich nach Angola geschickt wurde. Er hat seiner Frau fast täglich geschrieben.

Margarida Vila-Nova
Margarida Vila-Nova

Die Briefe spiegeln die letzten Jahre eines schier endlosen Krieges, der ab 1961 in Afrika gegen die verschiedenen Befreiungsbewegungen geführt wurde – von einem autoritären Regime in Portugal, das bis zur Nelkenrevolution von 1974 darauf bestand, die sogenannten Überseeprovinzen (províncias ultramarinas) als Teile Portugals zu halten.

Ivo Ferreira bleibt dicht an den Briefen und dem was sie erzählen. Gelesen werden sie aus dem Off, manchmal mit der Stimme des Schauspielers, der Lobo Antunes verkörpert, meist aber mit der Stimme einer Frau, der Empfängerin. Und parallel dazu illustrieren exquisit komponierte Schwarzweissbilder das, was die Briefe erzählen.

Miguel Nunes
Miguel Nunes

Meist sehr zurückhaltend, manchmal episodisch, aber mit jenem Rhythmus und der Musikalität, die schon fast zum Klischee des portugiesischen Kinos geworden sind.

Das Private und das Persönliche der Briefe gibt die Sehnsucht und die Hoffnung, den Schmerz und die Angst jedes Soldaten wieder – allerdings mit der Eloquenz des Schriftstellers und der Bildung und der kritischen Distanz eines Intellektuellen. Darin unterscheidet sich denn auch Cartas da guerra von anderen, persönlich gefärbten Kriegsfilmen, insbesondere der us-amerikanischen zum Korea- oder Vietnamkrieg.

Cartas da guerra

Zusammen mit den schwarzweissen Bildern und den Eindrücken aus Angola bekommt der Blick einen kolonialen Filter, eine Distanz, die weit grösser wirkt, als sie es zeitlich tatsächlich ist. Diese Artifizialität hat einen eigenwilligen Effekt auf das Kinopublikum. Man lässt sich eher treiben, hört und schaut zu, ohne sich gegen den Horror des Krieges zu wappnen, der dann hin und wieder plötzlich zuschlägt.

Cartas da guerra 3

Und gleichzeitig laden sich die Reflexionen des jungen Mannes auf mit einer seltsamen Mischung aus kolonialer Attitüde (die er keineswegs teilt, er hilft als Arzt wo er kann, mit der immer gleichen Freundlichkeit) und kritischer Hinterfragung. Keiner der Soldaten und Offiziere in diesem Film scheint irgend etwas an diesem Krieg gut zu heissen, mehr oder weniger offen überwiegt die Wut auf die eigene Regierung.

Und doch kommt gegen Ende eine leise verstörende Episode. Der Arzt findet neben den Leichen ihrer Eltern ein kleines Mädchen, das er mitnimmt ins Lager. Sie weigert sich zu sprechen, aber folgt ihm auf Schritt und Tritt, und er beginnt sie zu lieben wie einen Ersatz für seine Frau und das Kind zuhause, das er noch nie gesehen hat. So sehr, dass er impulsiv zur Waffe greift, als nach einiger Zeit der Grossvater des Kindes auftaucht und sie zurück ins Dorf holen will.

Es hat dann alles seine Richtigkeit, die Kleine zieht ab mit dem Alten und der Arzt hat seine eigenen kolonialen Impulse gerade noch einmal bezwungen.

Cartas da guerra 2

Cartas da guerra festigt den lyrisch-epischen Ruf des portugiesischen Kinos, seinen Hang zur musikalischen Aesthetisierung, aber auch die Erkenntnis, dass Portugal ausdauernder als andere Länder seine kollektiven Traumata beackert. Das deckt sich mit einem guten Teil der Erwartungen, die man als Festivalgänger ans portugiesische Kino so hegt. Aber darüber zu klagen wäre arrogant und undankbar.

Ivo M. Ferreira © Carlos Morganho
Ivo M. Ferreira © Carlos Morganho

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