Berlinale 16: THE END von Guillaume Nicloux (Forum)

The End: Gérard Depardieu © Les films du Worso - LGM Films
The End: Gérard Depardieu © Les films du Worso – LGM Films

Von Film zu Film fällt es schwerer, Gérard Depardieu von seinen Rollen zu trennen. Die schiere menschliche Masse, die er mittlerweile auf die Leinwand bringt, macht ihn zum Solitaire.

Berlinale_Balken_2016

Zwar gibt es noch vier weitere Schauspieler in diesem Film, und einen Hund. Aber Guillaume Nicloux weiss um die Präsenz seines Protagonisten, er setzt, legt, stellt ihn formatfüllend ins Bild.

Schon die ersten Einstellungen nehmen nicht die geringste Rücksicht. Ein Hund bellt, ein Wecker piept, die Schwarzblende geht auf und da liegt ein Berg von Fleisch auf dem Bett, in Unterhosen.

Depardieu spielt einen geschiedenen, pensionierten Baumeister, einen einsamen Jäger in seinem Haus am Waldrand. Sein Hund Yoshi bellt zu viel, das ist das erste was auffällt.

Das zweite ist die erneute Schwarzblende, kaum zwei Minuten in den Film hinein, und dann der Titel: The End. Das ist der Humor, den den Film nie ganz verlässt. Grotesk, lakonisch, ironisch, schwarz.

Gérard Depardieu © Les films du Worso - LGM Films
Gérard Depardieu © Les films du Worso – LGM Films

Denn der Jäger fährt in den Wald, stellt seinen Jeep auf dem Weg ab, zwei Warnschilder hin, und zieht sogar noch eine orange Signalweste über, bevor er sich schnaufend ins Unterholz bewegt, die offene, doppelläufige Jagdflinte im Arm wie ein Kind. Und der Hund bellt. Und bellt. Und rennt von links nach rechts durchs Bild, dann wieder von rechts nach links, bellend, bellend.

So wird das nie etwas mit der Jagd, denkt man unwillkürlich. Kein Wildschwein, kein Hase, kein Hirsch und kein Reh wird diesem schnaufenden Jäger mit seinem kläffenden Hund über den Weg laufen.

Bis es plötzlich ruhig ist. Der Hund ist weg. Jetzt beginnt Depardieu zu rufen, endlos: Yoshi? Yoshi?

„Qu’est-ce qu’il est con, ce chien!“

Ein Mann verirrt sich im Wald, verliert seinen Hund, trinkt die letzte Schweppes-Flasche leer, sein Gewehr ist verschwunden, als er am improvisierten Lagerfeuer wieder aufwacht. Der Wald ist ihm unerwartet fremd. Die Skorpione auf dem Weg, die Skarabäen, sie verblüffen ihn.

Er geht im Kreis, mit schmerzenden Knien, trifft einen seltsam unempathischen jungen Mann, später blickt er traurig von seinem Feuer auf und sieht sich im Flackern einer unbekleidete, stummen Frau gegenüber, die kein Wort von sich gibt.

Gérard Depardieu, Audrey Bonnet © Les films du Worso - LGM Films
Gérard Depardieu, Audrey Bonnet © Les films du Worso – LGM Films

Es ist ein minimalistisches Konzept für einen Film, eine Idee, die sich eigentlich bald verlieren müsste. Aber das passiert nicht. Depardieu schiebt seine Masse in zunehmender Verzweiflung durch den Wald und die wenigen Begegnungen lassen seltsame Erinnerungen an ganz andere Filme auftauchen, Genre-Kino-Ahnungen, die sich dann doch nicht erfüllen.

Schon mit La religieuse hat Nicloux auf diesen Effekt gesetzt, das Echo des Genre-Kinos im Kopf des Zuschauers, damals war es Isabelle Huppert, die mit ihrer Spiellust das ganze Nunsploitation-Genre evozierte.

Und in The Valley of Love liess er dann Depardieu und Huppert durch die Wüste stolpern, auf der Suche nach ihrem verstorbenen Sohn.

Jetzt ist Depardieu allein. Der Film bleibt bei ihm, durchgehend. Bis er selber aus dem Bild geht. Dann folgt wieder die Schwarzblende. Grossartig.

Guillaume Nicloux © Jean-Claude Lother
Guillaume Nicloux © Jean-Claude Lother

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