Berlinale 16: UNITED STATES OF LOVE (Zjednoczone stany miłości) von Tomasz Wasilewski (Wettbewerb)

Lukasz Simlat, Michal Grzybowski, Magdalena Cielecka, Marta Nieradkiewicz, Julia Kijowska © Oleg Mutu
Lukasz Simlat, Michal Grzybowski, Magdalena Cielecka, Marta Nieradkiewicz, Julia Kijowska © Oleg Mutu

Die Stadt könnte irgendeine sein in der polnischen Provinz, ein Jahr nach dem Mauerfall. Von Aufbruch ist nichts zu spüren in der Betontristesse, auch wenn die lokale Schule sich den Namen „Solidarnosc“ gibt und erste Schnäppchen-Touristen aus Deutschland auftauchen.

Berlinale_Balken_2016

Aber die vier Frauen, um die sich Wasilewskis Film dreht, haben alle ihre Sehnsucht nach innen gekehrt, und dann wieder nach aussen. Agata hat sich in den jungen Pfarrer verliebt und verstört ihren Mann derweil abwechselnd mit abweisender Kälte und wildem, wütendem Sex.

Ihre ältere Schwester ist Schuldirektorin, sieht aus wie eine verhärtete Grace Kelly, und dreht durch, als ihr langjähriger Liebhaber ihr ausgerechnet nach dem Tod seiner Frau den Laufpass gibt. Die jüngste Schwester Marzena hat einen lokalen Miss-Titel und arbeitet als Sport- und Gymnastiktrainerin. Aber sie träumt von einer Karriere als Fotomodell. Und dann ist da noch die ältere Russischlehrerin, die sich seit Jahren nach ihrer Wohnblocknachbarin Marzena verzehrt.

Dorota Kolak © Oleg Mutu
Dorota Kolak © Oleg Mutu

Gemeinsam ist allen vieren die versteckte Sehnsucht. Sie denken gar nicht daran, darüber zu reden. Das Leiden scheint fast schon Teil des Sehnens zu sein. Und maximale Selbsterniedrigung die letzte Konsequenz bei allen.

Marta Nieradkiewicz, Dorota Kolak © Oleg Mutu
Marta Nieradkiewicz, Dorota Kolak © Oleg Mutu

Das ist ein extrem unangenehmer Film in seiner deprimierenden Kraft. Die ausgewaschenen, fast schwarzweissen Bilder lassen keine Wärme aufkommen. Die vor allem zu Beginn penetrante Handkamera konzentriert sich immer wieder auf Nacken und Schultern der Protagonistinnen, fällt ihnen fast wörtlich in den Rücken, blockiert zwei Drittel ihrer Sicht für das Publikum.

Die gleiche Konsequenz zeigen auch andere Einstellungen und manche Schnitte: Immer wieder wird so geschnitten oder kadriert, dass wesentliche Elemente knapp ausserhalb des Bildes bleiben. Bei einer der freudlosen Sexszenen zwischen Agata und ihrem Mann ragen von rechts gerade noch die Beine der Frau ins Bild, links und rechts an ihrem nackten Mann vorbei.

Julia Kijowska © Oleg Mutu
Julia Kijowska © Oleg Mutu

Oft ist auch kaum auszumachen, ob und welche der Figuren gerade redet – oder ob die bösartigen Sätze, die zwischen ihnen fallen, allenfalls nur Gedanken sind.

Diese Frauen sind unglaublich allein, auch mitten in ihren Familien. Das macht schon die Eröffnungsszene deutlich, ein Familienfest der drei Schwestern mit ihren Männern am Esstisch. Einer der Männer ist schon seit drei Jahren in Deutschland zum Geldverdienen, er taucht kurz am Telefon auf. Die Frauen präsentieren Konsum-Errungenschaften, eine neue Jeans, eine Flasche Fanta. Agatas Mann lässt sich voll laufen.

Niemand redet über Träume oder Hoffnungen, oder auch nur über Gefühle. Als der eben verwitwete Arzt in der lokalen Videothek einen Film für Kinder möchte, und „einen für Erwachsene“, fragt ihn Agata hinter der Ausleihtheke überraschend, ob er seine Frau vermisse. Antwort bekommt sie keine.

Die Perspektive wechselt übrigens nacheinander, der Film spult die Agonien der vier Frauen nicht parallel ab, sondern nacheinander. Weil sich aber in ihrer Umgebung fast nichts verändert, ist das auch auch kaum bemerkbar.

Keine Frage: Das ist starkes, konsequentes Kino. In seiner Härte und Gnadenlosigkeit erinnert der Film an etliche der rumänischen Welle der letzten zehn Jahre. Aber der Zynismus seines Titels und der Eindruck, man schaue sich ein gefrorenes Stück Zeit an, machen es schwer, Zjednoczone stany miłości zu mögen. Beeindruckt kommt man aus dem Kino, Bewunderung für die Kunstfertigkeit des Regisseurs mischt sich mit dem Wunsch, die Eindrücke irgendwie wieder abschütteln zu können.

Schon mit Floating Skyscrapers (2013) gewann der 1980 geborene Tomasz Wasilewski diverse Preise. Er hat die polnische Filmschule in Lodz abgeschlossen, stylt sich persönlich wie Kanadas Wunderkind Xavier Dolan, und er war Regieassistent bei Malgorzata Szumowska, welche letztes Jahr den silbernen Berlinale Bär für Body gewann. Und dieses Jahr in der Berlinale-Jury sitzt. Aber einen Preis für diesen Film könnte niemand schlecht reden, dafür ist er schlicht zu gut gemacht.

Warszawa, 21.05.2014. Tomasz Wasilewski, reżyser. © Rafał Guz
Warszawa, 21.05.2014. Tomasz Wasilewski, reżyser. © Rafał Guz

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