FRANCOFONIA von Aleksandr Sokurov

Johanna Korthals Altes als Marianne und Vincent Nemeth als Napoléon Bonaparte © Look Now!
Johanna Korthals Altes als Marianne und Vincent Nemeth als Napoléon Bonaparte © Look Now!

Aleksandr Sokurov ist der Filmemacher, der uns mit Russian Ark durch die Museums-Schätze der Petersburger Eremitage geführt hat. Jetzt kommt von Sokurov Francofonia ins Kino. Eine filmische Rekonstruktion zur Frage, wie der Louvre den Pariser Nazi-Einmarsch im Kriegsjahr 1940 überlebt hat.

Der Louvre, das grösste, bekannteste Museum der Welt. Kann es sein, dass diese Kunstsammlung mehr wert ist als das ganze restliche Frankreich? Das ist eine der Fragen, die der Russe Alexander Sokurov mit seinem faszinierenden Film Francofonia stellt.

Besatzungsempfang im Louvre 1940 © Look Now!
Besatzungsempfang im Louvre 1940 © Look Now!

Im Sommer 1940 marschierten die deutschen Truppen in Paris ein. Aber wie würden sich die Sieger verhalten, wenn sie das Kommando über das Zentrum der Kulturwelt übernehmen? Jacques Jaujard, der vom französischen Vichy-Regime eingesetzte Direktor des Louvre wollte es nicht drauf ankommen lassen.

Er und seine Vorgänger hatten angesichts der drohenden Kriegsgefahr schon früher die Schätze aus dem Louvre ausgelagert, in die geräumigen Keller der grossen Schlösser rund um Paris. Mit viel technischem und personellem Aufwand wurden da akzeptable Lagerbedingungen geschaffen.

Und das weiss auch Franz Graf Wolff-Metternich zu würdigen, Hitlers Reichsbeauftragter für den Schutz der Kulturdenkmäler.

«Parlez-vous l’Allemand?» fragt der Deutsche in Offiziersuniform den Direktor des Louvre bei der offiziellen Übernahme der Gebäude. «Nein, ich bin sehr französisch», antwortet Jacques Jaujard. Aber er und sein deutscher Gegenspieler, ein kulturbeflissener Adelsspross, werden sich sehr schnell einig.

Louis-Do de Lencquesaing als Louvre-Direktor Jacques Jaujard © Look Now!
Louis-Do de Lencquesaing als Louvre-Direktor Jacques Jaujard © Look Now!

Jaujard und Wolff-Metternich mögen Feinde sein, Besatzer und Besetzter. Aber beiden geht es darum, die Bilder und Skulpturen des Louvre zu schützen. Nicht nur vor Krieg und Zerstörung, sondern, und das ist auch Wolff-Metternich nur zu bewusst, vor dem Zugriff der Nazi-Bonzen.

Aleksandr Sokurovs Francofonia ist ein hybrides Spektakel, eine Mischung aus dokumentarischen Aufnahmen, historischen wie neuen, und spielfilmartigen Rekonstruktionen. Sokurov hat mit Schauspielern im Louvre gedreht, in der Nacht, wenn die Räume leer waren.

Da treten nicht nur Jaujard und Wolff-Metternich auf, sondern auch historische Figuren, sogar Napoleon persönlich. Schliesslich, so meint dieser stolz im Rückblick, habe er mit seinen Feldzügen und den zusammengestohlenen Schätzen aus aller Welt überhaupt erst die Grundlage für das älteste und reichhaltigste Kunstmuseum der Welt geschaffen.

Auch das ist eine der Überlegungen, die Regisseur Sokurov in seinem permanenten Gedanken-Kommentar zum Film aufbringt: Die klassische westliche Kultur im Louvre, auf Feldzügen zusammengestohlen nicht zuletzt durch Napoleon, geniesst mehr Schutz und Ansehen, als viele russische Kulturgüter, die während dem zweiten Weltkrieg zerstört wurden oder verschwunden sind.

Francofonia ist ein kulturphilosphischer Filmessay, verpackt in spektakuläre Bilder und Spielszenen. Da treten nicht nur Napoleon oder Katharina die Grosse persönlich auf, da fliegen auch Flugzeuge durch die Strassen von Paris, da trotzen moderne Container-Schiffe, mit Kunstwerken beladen, den Stürmen des Pazifik, da telefoniert Regisseur Sokurov mit Produzenten und Mitkämpfern.

Sokurov treibt nicht mehr den Aufwand, der Russian Ark vor vierzehn Jahren zu so einem unglaublichen Spektakel gemacht hat. Zweitausend Schauspieler und Komparsen waren damals beteiligt, drei Orchester, gedreht wurde in dreiunddreissig Räumen über einen imaginierten Zeitraum von dreihundert Jahren. Und das alles in einer einzigen, fliessenden Einstellung, ohne sichtbaren Schnitt, ein minutiös inszeniertes, theatralisches Spektakel.

Aber der multiperspektivische Aufwand für Francofonia ist immer noch beträchtlich. Neben umwerfenden und irrwitzigen Drohnen-Flugaufnahmen in den Strassen von Paris stehen rohe Fernsehbilder von einem Frachtschiff im Sturm, Skype-Gespräche zwischen Regisseur und Kapitän, Spielszenen mit Schauspielern in Kostümen und perfekt montierte zeitgenössische Dokumentaraufnahmen.

Und über dem ganzen Aufwand steht die von Sokurov formulierte Frage: Ist eine Kultur schützenswerter als eine andere? Sind Kunst und das kulturelle Erbe für die Menschheit wichtiger als die individuellen Menschen? Und wer definiert die Prioritäten?

Die Fragen kann niemand beantworten. Auch der Film nicht. Aber das Spektakel, das er offeriert, entschädigt für das Kopfzerbrechen, das er auslöst.

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