HARDCORE HENRY von Illya Naishuller

Henry in Action © Impuls Pictures
Henry in Action © Impuls Pictures

Bei Computerspielen ist es durchaus üblich, die Action mit den Augen einer Spielfigur zu erleben. Sogenannte Ego- oder First-Person-Shooter haben das gar zum Prinzip gemacht. Aber im Kino hat sich die subjektive Perspektive nie wirklich bewährt. Jetzt hat ein russisch-amerikanisches Action-Projekt wieder einmal einen Versuch gewagt. Hardcore Henry, produziert von Timur Bekmambetov. wurde durchgehend und konsequent mit umgebauten GoPro-Helmkameras aus der Sicht der Hauptfigur gedreht. Ein zweifelhaftes Vergnügen.

Die ersten Bilder von Hardcore Henry zeigen einen vernarbten Bauch und Beine im Wasser. Es ist die Perspektive, die Hauptfigur Henry auf sich selber hat. Er ist eben in einem Tank aufgewacht. Das Gesicht einer Frau schiebt sich ins Bild.

Haley Bennett © Impuls Pictures
Haley Bennett © Impuls Pictures

«Hast Du eine Ahnung, wie du hergekommen bist?» fragt die Frau. Dann schraubt sie ihm einen Roboterarm an den linken Ellbogen und ein künstliches Bein unters Knie. Henry ist ein Cyborg, eine Mensch-Maschine. Und die Frau ist seine Ehefrau, die ihn nach einem mörderischen Angriff mit all diesen künstlichen Teilen wieder ins Leben zurückgeholt hat.

Haley Bennett © Impuls Pictures
Haley Bennett © Impuls Pictures

Und schon passiert der nächste mörderische Angriff. Schiessende Gestalten stürmen das Labor.

Wir sehen das alles mit Henrys Augen, die Perspektive des Publikums ist seine Perspektive das ändert sich den ganzen Film über nie.

© Impuls Pictures
© Impuls Pictures

Neunzig Minuten lang rennen wir mit Henry, schiessen, töten, stechen und schlagen. Verstecken uns, springen aus Fenstern und fahrenden Lastwagen und treffen auf seltsame Typen, die behaupten, uns helfen zu wollen.

© Impuls Pictures
© Impuls Pictures

Bald erfahren wir jedenfalls, warum wir selber nicht sprechen können: Das Sprachmodul ist nicht installiert. Dafür wissen wir, ob Henry eine Frage mit Ja oder nein beantwortet, weil das Bild auf und ab schwenkt oder eben hin und her.

© Impuls Pictures
© Impuls Pictures

Das Kino hat immer wieder experimentiert mit der subjektiven Perspektive. Zum Beispiel mit der Chandler-Verfilmung «Lady in the Lake» von 1947, welche die ganze Handlung aus dem Blickwinkel des Detektivs Philip Marlow zu zeigen versuchte. Der Film hat nicht funktioniert, weil man sich als Zuschauer mit dem körperlosen Blick der Hauptfigur nicht identifizieren konnte.

Lady in the Lake Poster

1995 gelang es Kathryn Bigelow zumindest für eine kurze Filmsequenz in Strange Days die Perspektive eines Mannes wiederzugeben, die sich danach als Aufzeichnung seiner Gehirnströme entpuppt.

Ralph Fiennes in 'Strange Days' von Kathryn Bigelow
Ralph Fiennes in ‚Strange Days‘ von Kathryn Bigelow

Aber das Problem bleibt bei all diesen Versuchen, dass wir gewohnt sind, unseren Blick schweifen zu lassen, die Augen zu bewegen, auch im Kino. Der starre subjektive Blick macht uns zu Gefangenen. Im Computerspiel ist das auszuhalten, weil wir unsere Figur selber steuern.

All seinen perfekten Stunts und raffinierten Killer- und Mörderszenen zum Trotz vermittelt das Hardcore Henry-Actionspektakel dagegen bloss das Gefühl, jemandem beim Spielen mit einem Ego-Shooter am Bildschirm über die Schulter zu blicken. Das ist für ein paar Minuten faszinierend. Aber nicht über blutige neunzig Minuten hinweg.

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