Cannes 16: BACALAUREAT (Graduation) von Cristian Mungiu (Wettbewerb)

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Vor neun Jahren erblühte mit dem in den 80er Jahren spielenden Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage von Cristian Mungiu das rumänische Filmwunder hier in Cannes mit voller Wucht. Mungiu holte die goldene Palme. Mit seinem jüngsten Film ist der Rumäne nun mitten in der nicht weniger harten Gegenwart seines Landes.

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Ein rund fünfzig Jahre alter Arzt in einer transylvanischen Bergstadt hat seine Tochter mit dem Ziel aufgezogen, sie schulisch so weit zu fördern, dass sie den Heimatort nach der Matura mit einem Stipendium so schnell und so weit wie möglich verlassen kann.

Adrian Titieni und Maria-Victoria Dragus © filmcoopi
Adrian Titieni und Maria-Victoria Dragus © filmcoopi

Eliza ist intelligent und fleissig und hat tatsächlich die Aussicht auf ein Stipendium für Cambridge, wenn sie die nötigen Durchschnittsnoten in den Abschlussprüfungen erreicht. Aber am Tag vor der ersten Prüfung wird sie am Morgen vor der Schule von einem Unbekannten attackiert und beinahe vergewaltigt. Sie wehrt sich und verletzt sich dabei den Arm.

Mit einem Gips darf Eliza eigentlich die Prüfungen gar nicht ablegen, weil darin Spickzettel versteckt werden könnten.

Für Dr. Aldea steht sein ganzer Lebenstraum auf dem Spiel. Also beginnt er sich zu erkundigen, bei seinem Freund bei der Polizei. Der kennt einen Bezirksverwalter, der auf eine Spenderleber wartet. Und der wiederum kann den Schulvorsteher dazu bringen Eliza zu helfen.

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Adrian Titieni, Vlad Ivanov und Maria-Victoria Dragus © filmcoopi

Es ist ein perfides, völlig alltägliches System am Werk. Alle, die irgendwo ihren Einfluss geltend machen, wissen um die Korruption. Alle wollen sie eigentlich vermeiden. Und alle sind der Meinung, manchmal gehe einfach nicht anders.

Elizas Mutter sieht das allerdings anders: Wenn wir unsere Tochter dazu zwingen, mit solchen Methoden in ihre Zukunft zu starten, läuft das allem zuwider, was wir ihr beigebracht haben.

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Mungiu fächert eine breite Palette an Nebengeschichten und Zusatzfiguren auf. Es ist kein mafiöses System, das er schildert, sondern das mehr oder weniger verzweifelte Handeln einer Generation, die sich verloren fühlt. So erklärt Dr. Aldea seiner Tochter, die sich weigert, zu schummeln, er und ihre Mutter seien 1991 in die Stadt zurückgekommen, wild entschlossen, die Zukunft des Landes und der Gegend anzugehen und ihren Beitrag zu leisten. Aber das habe sich als Fehler erwiesen.

Das ganze Geflecht an Verstrickungen und Schuld wirkt wie ein Wurzelwerk in dieser Gesellschaft. Dass Romeo Aldea und seine Frau sich auseinandergelebt haben, er mit ihrem Wissen ein Freundin in der Stadt hat, dass spürt die Tochter bloss.

So gelingt es Mungiu, jedem im Publikum zu vermitteln, wie wenig es braucht, um den eigenen Prinzipien fast unmerklich untreu zu werden – nicht für sich selber, sondern, zum Beispiel, für die Zukunft der Tochter.

Es hilft auch, dass einiges unerklärt bleibt in diesem Film. Da sind die eingeworfenen Scheiben am Haus der Familie, ein überfahrener Hund, der Aldea erst am nächsten Abend die Tränen in die Augen treibt (eine schöne Metapher?) und die Abtreibung, welche Aldeas Freundin machen lässt, ohne dass sie und ihr Romeo darüber ein Wort verlieren. Lauter Spuren von fatalistischem Stillschweigen.

Bacalaureat ist, wie immer bei Mungiu, hervorragend gespielt und unaufdringlich ruhig gefilmt. Der Film treibt den symbolträchtigen moralischen Realismus des rumänischen Kinos weiter, verstärkt um eine wissende und kommentierende Komponente bei den Figuren. Beeindruckend.

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