Cannes 16: ELLE von Paul Verhoeven (Wettbewerb)

Isabelle Huppert © frenetic

Der Roman von Philippe Djian trägt den Titel „Oh…“. Aber der Film heisst Elle. Elle, c’est Isabelle Huppert. Und Huppert-zentriert ist diese abgründig schwarze Komödie tatsächlich.

Cannes_Balken_2016

Niemand ausser dieser furchtlosen Präzisionsschauspielerin hätte diese Rolle so spielen können. Michèle leitet eine erfolgreich Videogame-Schmiede. Sie hat alles im Griff, ist souverän, spöttisch, effizient. Und das bleibt sie auch, nachdem sie in ihrer Villa von einem maskierten Eindringling brutal vergewaltigt wurde.

Wer nun einen simplen Rape-Revenge-Thriller erwartet, liegt völlig falsch. Denn Michèle handhabt ihre Situation nicht nur ohne Polizei, sondern auch mit der ihr eigenen Effizienz und Kaltblütigkeit.

Sie ist Drohungen und Anfeindungen gewohnt, das hat mit ihrer Familiengeschichte zu tun, die langsam aufgerollt wird. Vor allem aber weigert sie sich, je die Kontrolle zu verlieren. Sie kauft Pfefferspray und einen Tomahawk, lässt alle Schlösser auswechseln und erzählt ihren Freunden beim Nachtessen im Restaurant eher beiläufig und betont sachlich, was passiert ist.

Isabelle Huppert © frenetic
Isabelle Huppert © frenetic

Es ist der Kontrast zwischen der Brutalität der Vergewaltigung und ihrer Reaktion darauf, welche zunehmend komische Momente erzeugt. Kommt der wahre Witz in anderen grossen Komödien vorwiegend vor Tragik zustande, ist es hier eine seltsame, erfrischende Übersteigerung der Gefasstheit, ja Coolness der Hauptfigur angesichts der Ereignisse, die sich nicht wirklich in einen Alltag integrieren lassen.

 © frenetic
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Das steigert sich, denn die Vergewaltigung taucht nicht nur in partiellen Rückblenden wieder auf, sie wiederholt sich auch.

Paul Verhoeven hat sich seinen Namen nicht mit subtilen Filmen gemacht, sondern mit Tabubrechern wie Basic Instinct oder Robocop. Aber mit Elle gelingt ihm die Subtilität in der Beiläufigkeit und mit der Selbstverständlichkeit, zu der das nuancierte Spiel von Isabelle Huppert beiträgt.

Michèle ist keine kalte Maschine, sondern eine Frau, die sich selber ermächtigt hat und keine Sekunde daran denkt, davon abzulassen.

Wenn Verhoeven während der Vergewaltigung auf Michèles Katze schneidet, die in feliner Schönheit ungerührt zuschaut, dann kommt das erste dankbare Lachen im Publikum noch etwas zögernd. Wenn Michèle später die Katze hochnimmt, und  ihr erklärt, Augenauskratzen wäre zu viel verlangt gewesen, aber sie hätte den Kerl doch wenigstens ihre Krallen spüren lassen können, dann stimmt bereits alles im komischen Timing und in der Übereinkunft mit dem Publikum.

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Elle ist weder Grand Guignol, noch wirklich eine schwarze Komödie. Das ist ein Film mit einem verzweifelten Witz, aber eigentlich ohne Zynismus. Denn mit wenigen Ausnahmen wissen alle Figuren stets, woran sie sind. Dass sie damit leben und weiterleben, das wirkt sehr menschlich.

Mit seiner amoralischen Komik fällt Elle aus allen Kategorien und überrascht. Darin ist der Film dem grossen Favoriten im Rennen um die goldene Palme, Maren Ades Toni Erdmann, viel näher, als man zunächst vermuten würde.

Regisseur Paul Verhoeven mit Isabelle Huppert © frenetic

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