Der heftige Regen suggeriert Noir-Kino, der schamlose Bernard Herrmann -Psycho-Rip-Off- Streichersound deutet auf eine Parodie hin. Aber dann sind wir auch schon mitten drin an diesem 2. Oktober 1968 und es gilt ernst.
Schauplatz ist ein Busbahnhof irgendwo vor Mexico City. Im heftigen Dauerregen sind ein paar Menschen in der nächtlichen Wartehalle gestrandet, Busse fahren keine mehr, über die Nachrichten kommen Meldungen von ähnlichen Zuständen im ganzen Land, der Regen sei toxisch, erfahren wir irgendwann.
Aber davon wissen die drei Männer und die vier Frauen noch nichts. Und Ignacio, den seltsamen Jungen mit den Atemgeräten, den fragt niemand.
Ulises (Gustavo Sánchez Parra) ist verzweifelt, denn im Spital in der City ist seine Frau dabei, ihr Kind zur Welt bringen. Wütend tigert er in der Halle auf und ab. Die hochschwangere Irene ist eben so wütend und panisch. Sie hat ihren gewalttätigen Mann im Schlafzimmer ko geschlagen und ist geflüchtet. Aber sie weiss, dass er jeden Augenblick am Busbahnhof auftauchen kann, wenn sie nicht weg kommt.
Der Mann hinter dem Schalter hat noch ein paar Tage bis zu seiner Pensionierung, aber er ist der erste, den es erwischt. Man hört ihn schreien in seinem Büro, später taucht er mit einer Schrotflinte und bandagiertem Gesicht auf und will Ulises erschiessen: Der sei der Teufel persönlich.
Der junge Medizinstudent entreisst ihm das Gewehr und gemeinsam fesseln sie ihn an eine Säule. Dann nimmt ihm einer die Bandage ab und man sieht: Der Alte trägt die Gesichtszüge von Ulises, sein Haar und seinen Vollbart.
Und nicht nur die Befallenen verwandeln sich auf diese Art, selbst die alte mexikanische Schamanin, die in der Ecke ihre Beschwörungen gemurmelt hatte, trägt plötzlich Ulises Kopf und Bart. Und alle Fotografien in Ausweisen, Magazinen, Bildern an der Wand: Ulises. Die Bikini-Models in den Heftchen des Schalterbeamten. Sean Connery auf dem James Bond Poster. Marilyn Monroe an der Wand.
Derweil blättert der kleine Ignacio in seinem Lieblingscomic, der Geschichte von Los Parecidos, einer stummen Invasion aus dem Weltraum, welche die Menschheit unbemerkt ihrer individuellen Menschlichkeit beraubt: Am Ende sehen alle gleich aus, wie Ameisen in einem Ameisenstaat. Aber niemand merkt etwas davon, weil die individuelle Wahrnehmung bleibt.
Im Programmheft des NIFFF wird Los Parecidos liebevoll als „Retro Futuristic Mindfuck“ angekündigt. Regisseur Ezban selber bezeichnet ihn als Liebeserklärung an die Science-Fiction- und Paranoia-Filme der Sechziger Jahre. Beides trifft zu.
Der Mindfuck besteht in einer doppelten Logikschlaufe die auch dann funktioniert, wenn man sie nicht völlig aufdröselt. Vor allem aber ermöglicht sie eine Dramaturgie, in der der Reihe nach alle Protagonisten verdächtigt werden können, Auslöser des Übels zu sein. Jeder dreht mal durch und bedroht einen anderen.
Und die Liebeserklärung wird permanent sicht- und hörbar. Da ist zum Beispiel der fast durchgehende Score, der auf einer orchstrierten Version von Bernard Herrmanns Violinen in Psycho besteht. Er habe sich dick aufgetragenen Sound gewünscht, sagt Ezban, und darum schliesslich einen substantiellen Teil des Budgets in den Score von Edy Lan gesteckt und in dessen Einspielung mit dem Prager Symphonieorchester.
Aber auch der Look des an und für sich minimalistischen, aber streng auf Vintage ausgerichteten Dekors trägt weit.
Und schliesslich der Humor, der wie es sich gehört für diese Art Film, eng mit dem Schrecken verzahnt ist, subversiv und schwarz. Dass die befallenen schliesslich alle die Gesichtszüge des bärtigen Ulises annehmen, ist einerseits der Praxis des Machbaren geschuldet. Dicke schwarze Haare und ein schwarzer Vollbart lassen sich leichter grafisch und prosthetisch auf andere Gesichter übertragen.
Aber ihn habe auch die Idee gereizt, dass aufgrund der Prämisse des Films schliesslich die ganze Welt ein typisch mexikanisches Gesicht tragen würde, ohne sich dessen bewusst zu sein, sagt Ezban.