NIFFF 16: SWISS ARMY MAN von Daniel Scheinert und Dan Kwan

Paul Dano und Daniel Radcliffe in 'Swiss Army Man' © Ascot-Elite
Paul Dano und Daniel Radcliffe in ‚Swiss Army Man‘ © Ascot-Elite

Ex-«Harry Potter» Daniel Radcliffe als furzende Allzweckleiche in einer Robinsonade. Das muss man nicht gesehen haben. Aber man kann. Und dann entpuppt sich die marketingträchtige Provokation als kindlich-verspielte Variation auf den Tom-Hanks-Insel-Film Cast Away, mit Radcliffes Leiche in der Rolle des Volleyballs.

Der stets verlässlich anrührende Paul Dano spielt den auf einer Insel gestrandeten Hank. Eben als er sich in seiner Einsamkeit erhängen will, erspäht er einen angespühlten Körper am Strand. Leider ist der Mann ganz offensichtlich tot, bloss seine extremen Blähungen bringen noch Bewegung in die Leiche.

Aber selbst ein toter Mensch ist Hank in seiner Verzweiflung näher, als gar keiner. Und so beginnt der Schiffbrüchige nicht nur zu reden mit dem Körper, sondern er entdeckt auch nach und nach verborgene Möglichkeiten.

Als eine Welle die Leiche etwas ins Wasser zurücktreibt, versucht Hank sie zurückzuhalten. Er wirft sich auf den Körper, die von den entweichenden Gasen vorwärtsgetrieben wird. Und unversehens sitzt Hank auf einem menschlichen Jet-Ski, der ihn ihn rasendem Tempo von der Insel wegbringt.

Paul Dano und Daniel Radcliffe in 'Swiss Army Man' © Ascot-Elite
Paul Dano und Daniel Radcliffe in ‚Swiss Army Man‘ © Ascot-Elite

Das ist erst mal ein klassisches High-Concept-Movie, ein Film mit einer derart absurden Prämisse, dass er sein Publikum nur schon mit der Frage nach der möglichen Umsetzung neugierig macht.

Das hat bei der Premiere am Sundance-Festival funktioniert und es funktionierte auch am Samstagabend am NIFFF: Der altehrwürdige Neuenburger Kinopalast «Les Arcades», normalerweise längst viel zu gross für die meisten Filme, war restlos ausverkauft und randvoll mit erwartungsfrohem Publikum aller zugelassenen Altersschichten. Und dies trotz EM-Fussballspiel Deutschland-Italien.

Die Filmemacher Daniel Scheinert und Dan Kwan wurden bekannt mit provokativ-irren Videoclips als die «Daniels» und als Daniels zeichnen sie auch ihr erstes Langspielwerk. Dabei zeigt sich, dass sie nicht nur provozieren können, sondern auch schreiben. Denn nach der maximal auf Konzepteinlösung ausgerichteten Jet-Ski-Szene ist das Publikum erst mal zufrieden.

Paul Dano und Daniel Radcliffe in 'Swiss Army Man' © Ascot-Elite
Paul Dano und Daniel Radcliffe in ‚Swiss Army Man‘ © Ascot-Elite

Nun beginnt das eigentliche dramatische Spiel. Paul Danos sicher nicht zufällig Hank genannter Schiffbrüchiger freundet sich mit der nützlichen Leiche an wie Tom Hanks seinerzeit mit dem Volleyball Wilson. Zwar fragt er sich schon, ob nur seine eigene Verzweiflung ihm den Eindruck gebe, die Leiche gebe Antwort. Aber bald besteht kein Zweifel mehr: Dieser Manny ist ein echter Freund. Und eine echte Allzweck-Waffe.

Der Körper dient als Regenwasser-Speicher, als Katapult, und schliesslich, dank einer richtungsweisenden Erektion, auch als Kompass zurück in die Zivilisation.

Es ist diese Funktion, welche als Auslöser dient für den Teil des Films, der wirklich mehr hergibt, als bloss den kurzen Gag: Hank muss dem mittlerweile sehr lernbegierigen und -fähigen Zombie Grundkonzepte der menschlichen Interaktion näher bringen, abstrakte Konzepte wie Liebe und Begierde.

Auf dieser Eben entwickeln die beiden Schauspieler ein überraschend vielseitiges Zusammenspiel, in dem sich Paul Danos darstellerische Genialität mit Radcliffes mimisch reduzierter Schlitzohrigkeit perfekt ergänzen. Es kommt auch ausstatterisch zu einem Spiel im Film, das sehr von den Basteleien eines Michel Gondry (Be Kind, Rewind) inspiriert ist.

Hank baut mit Zivilisationsabfällen und Holz im Wald eine Bus-Attrappe, um Manny eine Episode aus seinem Leben näher zu bringen, den verträumten Blick auf eine junge Frau, den fehlenden Mut, sie anzusprechen. Nach und nach entsteht da eine ganze Spiel-Welt mit rührendem Einfallsreichtum.

Paul Dano und Daniel Radcliffe in 'Swiss Army Man' © Ascot-Elite
Paul Dano und Daniel Radcliffe in ‚Swiss Army Man‘ © Ascot-Elite

So entpuppt sich Swiss Army Man schliesslich als High-Concept-Vehikel für eine Menschwerdungs- und Freundschaftsgeschichte. Das ist zwar nicht auf der brillanten Höhe des klar beerbten Michel Gondry, und schon gar nicht dort, wo die vergleichbare Kollaboration Gondry-Charlie Kaufman mit dem Meisterwerk Eternal Sunshine of the Spotless Mind landen konnte.

Aber zur Erleichterung darüber, dass aus der furzenden Prämisse ein relativ brauchbarer Film geworden ist, gesellt sich noch die Freude, dass es den Daniels tatsächlich gelungen ist, die gepflegte Langweile von Tom Hanks in Cast Away mit ihrer präbubertären Provokation in eine echte, animalische Robinsonade zurück zu führen.

Kinostart Deutschschweiz: 27. Oktober 2016 18. August 2016

 

 

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