Locarno 16: CORRESPONDÊNCIAS von Rita Azevedo Gomes (Wettbewerb)

Correspondências (1)

Zweieinhalb Stunden Briefwechsel zwischen zwei portugiesischen Dichtern, meist aus dem Off gelesen und illustriert, oder hinterlegt, oder unterlegt mit exquisiten Einstellungen auf Menschen und Orte.

Pardobalken2016

Das ist die Art von Extremkulturkino, wie sie fast nur noch in Locarno im Wettbewerb zu finden ist, ein Film voller Schönheit, Gedanken und Saudade.

Correspondências (6)

Der portugiesische Literaturwissenschaftler und Dichter Jorge de Sena ging in den 50er Jahren nach Brasilien ins Exil, Sophia de Mello Breyner Andresen blieb in Salazars faschistischer Diktatur. Über mehr als zwanzig Jahre hinweg schrieben sich der Dichter und die Dichterin Briefe.

Correspondências (5)

Rita Azevedo Gomes, Filmemacherin und Kuratorin bei der Cinemateca Portuguesa, hat die Korrespondenz auf vielfältige Weise aufgearbeitet. Manche Briefe werden von den Schauspielerinnen und Schauspielern vorgelesen, andere nur aus dem Off. Manchmal wird fast eins zu eins illustriert, etwa wenn von Griechenland und von Delphi die Rede ist.

Correspondências (3)

Oft sind auch einzelne Menschen in Räumen dekorativ aufgestellt, Beziehungen werden bildlich aufgenommen. Oder auch wörtlich, wenn ein kleines Mädchen eine Briefstelle mit der Frage kommentiert: «Wo ist Exil?»

Die portugiesische Liebe zu Sprache und Dichtung durchdringt diesen Film, auch wenn einzelne Einstellungen fast schon parodistisch ernsthaft wirken. Andere haben einen unerwarteten und unerklärlichen Schalk.

Correspondências (4)

Da bringt ein Fischer der Frau des Hauses ein besonders schönes Exemplar und erklärt, sie solle ihn nur in Schuppenrichtung einsalzen. Kaum ist der Mann aus der Küche, salzt sie energisch gegen den Strich.

Correspondências (2)

Was den Film über ähnliche Anordnungen hinaus klingen lässt, ist allerdings die Auseinandersetzung mit der Kunst-, Kultur- und Gedankenfeindlichkeit des Faschismus. Der Kontrast zwischen dem Kunstwillen, der Feinheit der Formulierungen und dem was die Frau und der Mann an Vorgängen und Veränderungen in der Gesellschaft formulieren, findet ein Echo in unserer heutigen, zu ideologischer und sentimentaler Bipolarität tendierenden Welt.

So ist Correspondências zugleich ein Beispiel für die Art Kino, die in Locarno eben auch noch gepflegt wird. Und ein Beispiel für die Art Kino, auf die gerade die professionellen Vielseher mit ihrer festivalgepuschten Ungeduld oft nur noch mit Schrecken oder Spott zu reagieren vermögen.

Ein Film, der eigentlich der einzige des Tages sein müsste, um wirklich zu wirken.

Rita Azevedo Gomes
Rita Azevedo Gomes

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