Locarno 16: KAZE NI NURETA ONNA (Wet Woman in the Wind) von Akihiko Shiota (Wettbewerb)

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Kosuke, ein Dramatiker, hat sich aus Tokio in eine Waldhütte zurückgezogen, um seine Kreativität wieder zu finden. Als er eines Nachmittags mit seinem Handkarren unterwegs ist, rast neben ihm eine attraktive junge Frau mit dem Fahrrad in den See, steigt aus dem Wasser und zieht ungerührt ihr nasses Oberteil aus.

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Kurz darauf macht sie ihm offen Avancen, erklärt, sie suche ein Quartier für die Nacht. Kosuke weist sie brüsk zurück, aber Shiori lässt nicht locker, verfolgt ihn bis zur Hütte. Als Kosuke erklärt, er habe den Frauen und dem Sex abgeschworen, greift sie ihm in die Hose und meint, er könne lügen so viel er wolle, sein Schwanz sei offensichtlich anderer Meinung.

Kosuke beschimpft sie als Hündin, wirft ihr ein Stück Brot hin und jagt sie weg.

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Für Shiori ist das eine erotische Kriegserklärung. Sie beginnt Kosuke herauszufordern, verführt reihenweise die Männer um ihn herum und facht mit gezielter Provokation und Verweigerung seine Begierde an. Ein erotischer Zweikampf der Anziehung und der Abstossung setzt ein, häufig komisch, oft rücksichtslos, aber zunehmend erotisch und faszinierend.

Akihiko Shiotas Film ist eine Neuinterpretation des klassischen japanischen Softporno-Genres, dem Roman Porno, den in den 1970er Jahren vor allem die wieder auferstandene älteste japanische Produktionsfirma Nikkatsu auf den Markt brachte. Diese «romantic pornography» bildete zusammen mit den etwas gewalttätigeren «pinku eiga», den pink films ein kommerzielles Subgenre im Kampf gegen das Fernsehen. Und ähnlich wie in den USA die B-Pictures und die Billigst-Produktionen von Roger Corman wurden diese Filme zu einem Tummelplatz für fantasievolle Jungfilmer. So lang wenigsten alle zehn Minuten ein blanker Busen oder ein Hintern zu sehen waren, durften die Filmemacher erzählen, was sie wollten.

Shiota, ein erfahrener Drehbuchautor und erfolgreicher Regisseur, ist ein Kenner dieser Filme und ihres historischen Hintergrunds. Und so lernt man, wie so oft bei parodistischen Werken, über Wet Woman in the Wind überraschend viel über Dramaturgie und Stil jenes Genres.

Da ist einerseits der simple Topos der unersättlichen Frau und des sich verweigernden Mannes, eine Säule auch im westlichen Porno- und Softpornogenre. Dann die Steigerung der sexuellen Provokation vom ersten Zeigen nackter Haut bis zu offener Provokation, freiwilligem oder erzwungenem Akt, absurden Wendungen und schliesslich Überhöhungen.

Wet woman (3)

All dies spielt Shiota über sein Drehbuch mit sicherem Gespür für Rhythmus und Tempo durch. Nebenfiguren werden eingeführt und gerade so weit gezeichnet, dass sie auch im erzählerischen Bogen relevant werden. Typen tauchen auf, vom Eifersüchtigen Ehemann bis zur verklemmten, verliebten Assistentin und der sexuell ausgehungerten älteren Frau aus der Stadt.

Dazu kommen aber etliche erzkomische und ein paar faszinierend subtile Zusatzattraktionen. So taucht etwa Kosukes Theater-Partnerin auf, mit einem Kleinbus voller hoffnungsvoller Schauspieler und eben besagter Assistentin.

Kosuke hat schon in einer früheren Szene auf Shioris Bemerkung, sie wäre bestimmt eine gute Schauspielerin mit ein paar einfachen Testübungen reagiert, hat sie in verschiedenen Stimmungslagen einen Satz sagen lassen und das ganze zu einem höchst erotischen Pas-de-deux mit einem Stock gesteigert.

Wet woman (4)

Nun fordert Shiori auch die Rivalin aus der Stadt heraus, provoziert und demütigt sie im theatralischen Improvisationsstil.

Das gibt einerseits den Schauspielerinnen Gelegenheit, deutlich mehr als Bein und Busen ins Spiel zu bringen, verweist aber zugleich auch auf die Anfänge der Nikkatsu, die 1912 aus der Tradition des Shimpa-Theaters herausgewachsen war.

Vor allem aber ist die Erzählung des erotischen Zweikampfs zwischen Kosuke und Shiori viel mehr als die lose verbundene Nummernrevue des Ursprungsgenres. Akihiko Shiota feiert die Fantasie und die Begabung all jener Roman Porno Filmemacher, welche die kommerzielle Nische seinerzeit nutzten, um kleine dramatische Kunstwerke zu schaffen.

Wet Woman in the Wind mag eine Parodie sein, viel eher aber ist das eine Hommage, ein leidenschaftliches, vielleicht auch etwas romantisierendes Plädoyer für die unverklemmte Grenzüberschreitung. Der Film hat ein verblüffend raffiniertes progressives Tempo und einen scharfen, fast schon proto-feministischen Witz, der ein wenig an jene Filme erinnert, welche der Amerikaner Russ Meyer in den 1960er und 70er Jahren drehte.

Vor allem aber ist Wet Woman in the Wind ein überraschend erotischer Film, mit einem Witz, der sich gewaschen hat.

SHIOTA Akihiko
SHIOTA Akihiko

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