Pensionär Bob aus Seattle kauft ein gebrauchtes Wohnmobil und bricht auf in die kalifornische Wüste. Dragqueen Steve tauscht das graue England ein gegen das sonnige Altersghetto Benidorm. Und der verkniffene japanische „Salaryman“ Yamada beginnt, Kindern Bilderbücher vorzulesen.
Drei Männer, drei Kontinente, drei ungewisse, aber wohl finale Lebensentwürfe: Jacqueline Zünds schöner, melancholischer Dokumentarfilm zeigt Aufbrüche, drei Menschen, die das sichere Verlöschen in Schach halten, indem sie noch einmal etwas komplett Neues wagen.
Das seien keine Heldentaten, räumt Jacqueline Zünd ein, aber in ihren Augen seien ihre drei Protagonisten eben doch Helden.
Das ist leicht nachvollziehbar, schon in den ersten Minuten. Bob liest aus der Checkliste seines gebraucht gekauften Wohnmobils vor, stoisch, neugierig und zugleich resigniert. Kästen fest verschliessen? Das kann er. Strom ausschalten, Gasherd sichern, ok. Wasserstand prüfen? Keine Ahnung, wie das geht.
Aber Bob ist losgefahren. Gekauft hat er das Wohnmobil, weil seine Freundin das unbedingt wollte. Dann haben sich die zwei getrennt und er hat den Scheck trotzdem unterschrieben. Bloss musste er noch am gleichen Tag aufbrechen, sagt er. Sonst hätte er das verdammte Ding vor dem Haus einfach stehen lassen.
Steve hatte als Drag-Queen und Stand-up-comedian seine grossen Zeiten in den britischen Seebädern. Aber das ist vorbei, heute sind dort alle arbeitslos, die meisten Nightclubs geschlossen. Also bricht Steve auf, dort hin, wo auch ein guter Teil seiner einstigen Kundschaft hingezogen ist, nach Spanien.
Und Yamada, der Japaner, der nach eigener Aussage nur für seine Firma gelebt hat, seine eigenen Kinder und seine Frau meist nur als Hintergrund wahrnahm, ist zu „Herbstlaub“ geworden, zu einem jener Männer, die nach ihrer Pensionierung an den Füssen ihrer Frauen kleben wie feuchtes Laub.
Wer nicht mindestens 12 Hobbies habe, sei verloren, meint er. Yamada schwimmt, er fischt, aber erst der Vorschlag eines Kollegen, es doch auch als Vorleser für Kinder zu versuchen, bringt ihn auf wirklich neue Wege.
Jacqueline Zünd nähert sich ihren drei Protagonisten mit ausgesucht schönen Bildern und Einstellungen. Oft sind das Zentralperspektiven auf Distanz, geschnitten auf Naheinstellungen der Gesichter.
Es gibt Sequenzen, die sind unglaublich in ihrer perfekten Simplizität und Schönheit. Atemberaubend etwa eine Einstellung auf Yamada auf dem Bahnsteig einer U-Bahn. Hinter ihm rast der Zug vorbei, während er ganz still steht. Dann ist der Zug weg und der Hintergrund darum plötzlich eben so bewegungslos wie der Mann. Schöner kann man den plötzlichen Stillstand im Leben eines Menschen nicht in ein Bild giessen.
Jacqueline Zünd bleibt auf Distanz und erreicht gerade so eine enorme Nähe zu ihren Figuren. Das hat auch damit zu tun, dass sie ihre Themen sehr persönlich angeht. Mit Goodnight Nobody, globalisierte sie ihre eigene Schlaflosigkeit, nun geht sie die Endlichkeit des Lebens an, auf ganz ähnliche Art, mit einer Suche nach Schicksalsgenossen, nach gelebter Erfahrung.
Almost There ist als Filmtitel schön ambivalent, als Film aber so klar wie die kurzen, scharfen Sätze der Autorin Sibylle Berg, welche die Filmemacherin von einzelnen Menschen vortragen lässt, als ob sie deren eigener Lebenserfahrung entsprungen wären. Was sie, mit den Dreharbeiten für diesen Film, natürlich auch sind. Denn auch Dokumentarfilme formen die Wirklichkeit, wenn auch selten mit dieser Eleganz und Verhaltenheit wie Almost There.
Zweite Vorführung an den Filmtagen: 24. Januar 2017
Kinostart Deutschschweiz: 7. September 2017