Der Kanada-Urlaub eines Schweizer Polizisten wird zur Jagd auf einen fahrerflüchtigen Trucker. Was nach Roadmovie klingt, ist tatsächlich eines. Und noch viel mehr.
Thomas Berger aus der Schweiz hat ein paar Wochen in Kanadas Wäldern Urlaub gemacht, schweigend gefischt mit dem pensionierten Polizisten, der ihm seinen Bungalow vermietet hat.
Später wird die Tochter des pensionierten Polizisten fragen, was dieser denn wisse, über den schweigsamen Fremden aus Europa. Und weil er eben auch ein Mann ist, wird der Vater schulterzuckend sagen: Nichts. Beim Fischen redet man wenig. Und Männer stellen keine Fragen.
Das tut dann dafür die Tochter. Sie ist hochschwanger, ebenfalls Polizistin, und zuständig für die Untersuchung des Todes eines Jungen aus der Reservation, der auf seinem Fahrrad von einem Truck gestreift wurde und sterbend am Strassenrand liegenblieb.
Für den Schweizer ist die Nachricht vom Tod des Jungen Anlass, seinen Rückflug sausen zu lassen und sich auf die Suche nach dem schuldigen Trucker zu machen. Warum, das bleibt lange im Verborgenen. Aber natürlich hat dieser Thomas seine eigenen Dämonen, die ihn gegen den Widerstand der kanadischen Kollegen auf diesen eigenmächtigen Road-Trip schicken.
Miséricorde ist ein sattes Drama, perfekt unterfüttert mit zahlreichen Genre-Referenzen. Da ist der düstere Truck, dessen Fahrer lange unsichtbar bleibt, wie in Spielbergs Duel. Da sind die vielen Roadmovie-Einstellungen in den Wäldern und auf den einsamen Strassen in Kanadas Norden. Da ist wieder einmal eine hochschwangere, energische Polizistin wie in Fargo von den Coens.
Und weil das alles mit Schuldgefühlen, Geheimnissen, der Suche nach Vergebung und weiteren menschlichen Mysterien unterfüttert ist, erinnert der ganze Mix hin und wieder an die Filme von Atom Egoyan.
Ein zusätzlicher Bonus, neben ein paar raffinierten Wendungen, besteht darin, dass Miséricorde als Koproduktion mit Kanada (und Monaco und Frankreich) nicht in Englisch gedreht ist, sondern im breitesten kanadischen Französisch, bei dem unser Schulfranzösisch nur noch dank der Untertitel nicht in pure Verzweiflung gestürzt wird.
Miséricorde ist sattes Kino mit glaubwürdigen Figuren, hin und wieder nah am Melodram, und in der einen oder anderen Szene am Ende vielleicht etwas zu dick auftragend. Aber Fulvio Bernasconi hält die Ernsthaftigkeit durch und bleibt emotional verbindlich, was dem Film eine starke Nachwirkung beschert.
Kinostart Romandie: 18. Januar 2017
Kinostart Deutschschweiz: noch offen