Django Reinhardt, eigentlich Jean Reinhardt, war französischer Sinti – oder Manouche, wie sich die Sinti selber nennen. Und er war der berühmteste Gitarrist seiner Zeit. Er prägte den Manouche Jazz – und war für den europäischen Jazz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Leitfigur. Seine Geschichte ist nun Stoff für einen Film geworden: Django eröffnete heute Abend die 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin, die Berlinale.
Über die Berlinale wird immer wieder gesagt, sie sei das politischste aller Filmfestivals: umso grösser das Erstaunen, dass für diese Ausgabe 2017 eine Musikerbiografie den Auftakt machen sollte. Zumal Dieter Kosslick, Festivalpräsident, in seinem Grusswort zum Programm schreibt: «Selten hat ein Berlinale-Programm die aktuelle politische Situation so eindringlich in Bilder gefasst, wie in diesem Jahr.»
Mit Musik beginnt also die diesjährige Berlinale: eine Gruppe Sinti sitzt im Wald und spielt, ein blinder Musiker singt in Romanes. Aber mit der Gipsy-Romantik ist es dann schnell vorbei. Eine Einblendung zeigt: wir sind in den Ardennen, es ist 1943. Und was man schon ahnt, geschieht nach wenigen Momenten: die Musiker im Wald werden hinterrücks überfallen und erschossen.
Die zweite Szene zeigt einen vollen Konzertsaal in Paris, im Publikum viele deutsche Offiziere. Django Reinhardt soll spielen, auch er Sinti, aber unter dem Schutz von «Dr. Jazz», einem deutschen Offizier, der in Paris für die Unterhaltungsmusik zuständig ist und eine Vorliebe für den verpönten Swing und Blues hat.
Ein Musikfilm zur Eröffnung. Aber: der Film über Django Reinhardt ist keine klassische Biografie, sondern tatsächlich politisch und eindringlich – um Festivalpräsident Kosslick zu zitieren – er ist ein Flüchtlingsdrama. Erzählt werden nur zwei Jahre im Leben des Ausnahme-Gitarristen: 1943-1945.
Django Reinhardt lebt im besetzten Paris, wo die Nazis nicht nur Juden deportieren, sondern auch Fahrende, französische Sinti verfolgen, verschleppen, töten. Als Django Reinhardt sich weigert, auf eine Deutschlandtournee zu gehen, muss er fliehen – in Thonon-Les-Bains am Genfersee wartet er mit seiner Frau und Mutter auf eine Passage in die Schweiz.
Aber auch dort sind die Nazis- und fordern von Django Reinhardt und seinen Verwandten ein Konzert – ein gezähmtes allerdings: keine Synkopen, keinen Swing, kein Taktklopfen mit dem Fuss und möglichst viel Dur – das sind nur wenige der Vorgaben, die sie dem Musiker machen.
Aber Django Reinhardt und seine Manouche-Gruppe lassen sich nicht zähmen: denn Musik, so eine der Hauptaussagen des Films, ist immer eine kleine Flucht, ein Moment, der Geschichte kurz still stehen lässt, der Politik für die Länge eines Stücks vergessen machen kann.
Der Film von Étienne Cormar hat etwas Mühe, die Balance zwischen Musikerbiografie und Flüchtlingsdrama zu wahren und tappt immer wieder in die Klischeefalle: einmal Zigeunerromantik mit Musik am Lagerfeuer, der kleine Affe Joko, der an Django Reinhardt gekuschelt einschläft, die deutschen Offiziere, die zwischen Bewunderung für den Künstler Django und Abscheu für den «Zigeuner» Jean Reinhardt schwanken.
Reda Kateb spielt Django Reinhardt eindringlich und sympathisch, neben ihm spielt Cécile de France in einer etwas undefinierten Rolle seine Pariser Gönnerin. Vor allem aber besticht BimBam Merstein als Djangos Mutter Negros, eine resolute Greisin.
Musik gibt’s natürlich viel, neu eingespielt von der Holländischen Jazz-Combo «The Rosenberg Trio». Aber am Ende bleibt der Wunsch offen, noch mehr über diesen Ausnahmemusiker zu erfahren als nur diese zwei Jahre am Ende des Zweiten Weltkriegs – und der leise Verdacht, der Regisseur Étienne Cormar habe seine Künstlerbiografie etwas allzu sehr der aktuellen politischen Lage anpassen wollen und darob sein grossartiges Sujet, den Ausnahmemusiker Django Reinhardt, ein bisschen vernachlässigt.