Berlinale 17: TIERE von Greg Zglinski (Forum)

Birgit Minichmayr, Philipp Hochmair in ‚Tiere‘ © tellfilm, Andreas Seibert

Es ist der Film zum Festival: Tiere, Tiere, überall wilde Tiere, die in die Welt der Menschen einbrechen, symbolisch und ganz real. Das fängt auf dem Berlinale-Plakat schon an: Bären im normalen Strassenbild, im Fotoautomat, in der Tiefgarage oder in der U-Bahnstation. Aber dieser Film heisst sogar Tiere – gedreht hat ihn Greg Zglinski, polnischer Filmemacher, der in der Schweiz gross geworden ist.

In der Schlüsselszene fahren Anna und Nick im Cabrio auf einer Bergstrasse, spielen das Spiel, in dem einer das Alphabet durchbuchstabiert, die andere «stopp» sagt und dann beide jeweils ein Tier mit dem entsprechenden Anfangsbuchstaben sagen müssen. Anna hat ‚t‘ gesagt und so zählt sie im Wechsel mit ihrem Mann Nick Tiere auf: Teppichkäfer, Tapir, Tarantel sind schon dran gewesen, Tier zählt nicht, weil es zu allgemein ist. Schliesslich schreit Anna «Schaf!» und Nick sagt noch «Das zählt doch nicht, das ist nicht mit ‚t‘.» Doch dann ist es zu spät. Das Auto donnert frontal in ein Schaf. Schaf tot, Anna leicht verletzt, Nick unverletzt.

Das ist die Szene, die im Leben von Anna einiges verändert. Das Paar ist auf dem Weg in eine Schweizer Alphütte, wo es ein halbes Jahr leben will. Nick ist Koch und auf der Suche nach regionalen Rezepten. Anna will ein Buch schreiben. Die Wohnung in Wien haben sie der etwas schrägen Mediävistin Andrea untervermietet.

Bald schon passieren komische Dinge – sowohl in der Schweiz als auch in Wien. Zuerst hat Anna Gedächtnislücken; nach dem Tag des Ankommens erwacht sie vermeintlich am nächsten Tag – und muss von ihrem Mann hören, dass doch schon 12 Tage vergangen seien. Dann fliegt ein Vogel ins Haus und scheinbar absichtlich in die Wand.

In Wien passieren Andrea ähnlich komische Dinge, nachdem sie auf den Hinterkopf gefallen ist: ein scheinbar verwirrter Mann steht vor ihrer Tür und behauptet, sie sei seine Ex-Freundin aus der Wohnung ein Stockwerk oberhalb.

Mona Petri in ‚Tiere‘ © tellfilm, Wojtek Sulezycki

Immer verdrehter wird die Handlung, die eigentlich eine simple Beziehungskiste über Liebe und Untreue ist. Zeitebenen passen plötzlich nicht mehr, manchmal erscheint Anna von einer Sekunde auf die andere plötzlich in einem anderen Kleid. Oder sie steht draussen und sieht sich gleichzeitig drinnen mit ihrem Mann sprechen. Das alles ist sehr komisch erzählt, mit schwarzem Humor, aber auch mit klassischen Suspense- und Horrorelementen. Da ist zum Beispiel jeweils ein Zimmer, das nicht betreten werden kann, in der Wiener Wohnung wie auch im Schweizer Ferienhaus.

Man fühlt sich zuweilen stark an Hitchcocks Vertigo erinnert oder auch an David Lynchs Filme Lost Highway und Mulholland Drive. Die verdrehte Möbius-Schlaufe und das Bild von M. C. Escher mit der Treppe, die immer nach oben geht und doch einen Kreis bildet haben Pate gestanden für das Drehbuch. Verfasst hat es der 2007 verstorbene Jörg Kalt, Greg Zglinski hatte es damals in der Kommission der Zürcher Filmstiftung gelesen und nie mehr vergessen. Nun hat er es übernommen, etwas umgeschrieben und verfilmt. Als Koproduktion der Schweiz (auch SRF hat koproduziert) zusammen mit Österreich und Polen. Birgit Minichmayr ist Anna, Philipp Hochmair Nick – und Mona Petri ist gleich in drei Rollen zu sehen, vor allem als Untermieterin Anna.

Birgit Minichmayr in ‚Tiere‘ © tellfilm, Wojtek Sulezycki

Weil der Film immer seltsamere Wendungen nimmt, immer rätselhafter wird, wird man als Zuschauerin gepackt, will miträtseln, verstehen, wie das alles verstrickt ist und was dahinter stecken könnte. Und muss dabei auch immer wieder lachen – zum Beispiel ob der seltsam bizarren Katze mit den zu grossen Ohren, die plötzlich auftaucht und mit Anna spricht.

Bis jetzt hat Greg Zglinski Schweizer Filme gedreht – 2005 hat er für Tout un hiver sans feu (Kein Feuer im Winter) den Schweizer Filmpreis gewonnen, 2015 hat er für das Westschweizer Fernsehen den Uhrmacher-Historienfilm Le Temps d’Anna gemacht. Tiere ist seine erste Koproduktion – und das hat ihm ganz gut gefallen, erzählt der Regisseur, der selber Pole ist und in der Schweiz seine Schul- und Ausbildungszeit verbracht hat. Er erzähle gerne Geschichten, die universell zu verstehen seien, sagt Zglinski. So richtig verstanden hat man Tiere am Ende zwar nicht, dazu ist diese Handlung zu verdreht und zu schwierig aufzulösen. Aber das ist so gewollt – und es macht auch den Reiz dieses ungewöhnlichen Genrefilms aus.

Greg Zglinski © Wojtek Sulezycki