Diagonale 17: UNTITLED von Michael Glawogger und Monika Willi

‚Untitled‘ von Michael Glawogger und Monika Willi © Filmladen

Einen Film wollte er machen, einen der nicht verweilt, der in Bewegung bleiben sollte, wie eine endlose Zugsreise. Dafür ist Michael Glawogger mit Kameramann Attila Boa und Tönler Manuel Siebert zu einer einjährigen Weltreise aufgebrochen. Schauen, neugierig bleiben, filmen ohne Thema, Wertung oder Ziel.

Nach vier Monaten und neunzehn Tagen war die Reise für Glawogger vorbei. Er starb im April 2014 in Liberia an Malaria.

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Die 107 Minuten, welche Schnittmeisterin Monika Willi aus dem Material dieser vier Monate montiert hat, lassen dem assoziativen Konzept der endlosen Bewegung Raum. Eher assoziativ, in motivischen Schleifen sehen wir, wir Glawogger schaute.

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Bauruinen und leerstehende Häuser mit Einschussnarben im Balkan, glänzende schwarze Körper beim Edelsteinwaschen in Sandbergen, beim Ringkampf im Sand im Westen und Nordwesten von Afrika. Esel, beladen und verladen. Ziegen und Kinder in Abfallbergen. Ein Schaf auf einem Transporter. Fischer und Fische. Eine afrikanische Stadt während eines nächtlichen Stromausfalls.

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Es sind Anklänge an Glawoggers grosse Dokumentationen wie Megacities oder Working Man’s Death und gleichzeitig ist das eine Schule des Schauens.

Wenn manche Sequenzen nur schwer zu ertragen sind, dann auch darum, weil da eben jemand nicht weggeschaut hat, weil da einer hingegangen ist, neugierig und offen und rastlos und getrieben.

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Die von Birgit Minichmayr gelesenen Tagebucheinträge, welche Glawogger während der Reise unter anderem in der Süddeutschen Zeitung publizierte, erzählen in der dritten Person von einem, der davon träumt, einen Ort zum Verschwinden zu finden, einen Ort, wo keine Papiere mehr nötig sind, wo er unter den Menschen unentdeckt bleiben kann, sich von ihnen Geschichten erzählen lassen.

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Untitled kommt nahe an ein Dokumentarfilmideal heran und ist zugleich um Welten entfernt davon. Es gibt kaum Menschen, welche sprechen in dem Film. Es wird nicht erklärt und nichts verbunden. Die Sequenzen werden nicht einmal verortet. Das «Faktische», sollte es existieren in diesem geträumten Universum, erscheint radikal subjektiv und objektiv zugleich.

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Unser Schaudern beim Anblick der Kinder und alten Frauen, die sich auf die in die Wüste gekarrten Abfallberge stürzen, wird ja nicht von diesen Bildern allein ausgelöst. Wir setzen sie in Beziehung zu unserer eigenen Weltwahrnehmung. Und damit sind wir schon wieder weit weg von dem, was Michael Glawogger für das Projekt formulierte:

«Dieser Film soll ein Bild der Welt entstehen lassen, wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt. Wenn man sich von nichts treiben lässt ausser der eigenen Neugier und Intuition.»

Monika Willi, die unter anderem auch die Filme von Michael Haneke schneidet, ist es gelungen, aus Glawoggers Material einen Spiegel seines Suchens und seines Schauens zu montieren. Wo das hätte hinführen können, zeigt eine Tagebuchpassage, in der er eine universale Verständigungssprache skizziert, die nur aus den Namen berühmter Fussballer besteht. Absurd und komisch, utopisch und weltgewandt. Die zugehörige filmische Sequenz zeigt eine Gruppe begeisterter einbeiniger Fussballer an Stöcken, vertieft in ihr blitzschnelles Spiel am Ufer des Meeres.

Uraufführung der internationalen Fassung Berlinale 2017
österreichische Uraufführung zur Eröffnung der 20. Diagonale am 28. März 2017