Cannes 17: WONDERSTRUCK von Todd Haynes

Ekaterina Samsonov als Hanna © amazon studios

Es ist einmal mehr ein optisches Schlaraffenland, welches Todd Haynes anrichtet, diesmal sogar als doppeltes «period piece». Da ist einerseits die Geschichte des zwölfjährigen Ben, der 1977 nach dem Tod seiner Mutter seinen Vater sucht – in New York. Das ist in Todd-Haynes-Farben gefilmt, Bilder, wie mit Sonnenlicht gemalt.

Und andererseits in wunderschönem Schwarzweiss die andere Geschichte, jene der kleinen Hanna, die fünfzig Jahre früher von ihrem lieblos strengen geschiedenen Vater zuerst zur Schauspielerin-Mutter (Julianne Moore) und dann zum Bruder im New Yorker Museum of Natural History flüchtet.

In eben diesem Museum in eben den zwei verschiedenen Perioden treffen dann auch Bilder und Geschichten aufeinander. Natürlich gibt es am Ende den Punkt der Geschichtenzusammenführung, und natürlich kommt einem einiges bekannt vor an dieser Mischung aus Night at the Museum und Martin Scorseses Hugo.

Das liegt vor allem an der Romanvorlage des Drehbuchautors Brian Selznick, von dem eben schon der Roman «The Invention of Hugo Cabret» stammte.

Oakes Fegley und Jaden Michael © amazon studios

Das Problem der meisten dieser Erwachsenen-Filme mit Kindern als Abenteurer in ihren eigenen Leben besteht darin, dass diese Figuren kaum eine greifbare Persönlichkeit bekommen. Sie sind eben Kinder, Stellvertreter-Protagonisten, in einem veritablen Kino-Fest.

Die Autos, die Kleider, die Sorgfalt: Alles lässt einen träumen und zeitreisen, Ben in die Siebziger Jahre, mit unglaublichem Retro-Chic, bis hin zur relistisch abfallversauten Stadt New York. Und Hanna in die Zeit der allerletzten Stummfilme. So sieht sie ihre Mutter als tragische Heldin in einem solchen, und als sie das Kino verlässt, wird auf der Marquise eben der Umbau zum Tonfilm-Kino angekündigt. Und ihre Mutter trifft sie dann in einem kleinen Theater in New New York.

Aber Ben bleibt als Persönlichkeit blass, blasser etwa als Jamie, den er in New York trifft und mit dem er sich anfreundet. Dafür wird Ben mit einer blitzschlagverursachten Taubheit geschlagen, was ihn dann wiederum der tauben Hanna aus der Schwarzweissgeschichte annähert.

Julianne Moore, nachgealtert für ‚Wonderstruck‘ © amazon studios

Der Film ist eine Collage aus Szenen, Einfällen und dramaturgischen Gimmicks. So spielt eine Schlüsselszene am Ende im riesigen New York Modell von der 1964er Weltausstellung im Museum in Queens. Das ist zwar von der Story her eher notdürftig begründet, gibt aber der künstlich gealterten Julianne Moore und dem Ben-Darsteller etliche Gelegenheiten, auf dem Hudson an Manhattan vorbeizustapfen wie Godzilla und King Kong in Swiss Miniature.

Wonderstruck ist eine Wundertüte voller Nostalgie, da steckt Cinéphilie drin, Design, Museumsromantik und eine ansteckende Modellbegeisterung. Das alles mitgetragen von einem wie immer bei Todd Haynes opulent sehnsüchtigen Score mit etlichen Original-Stücken und viel Mood-Music.

Man kann sich treiben lassen in diesen zwei Stunden Kino. Aber die Eindringlichkeit von Carol oder Far from Heaven geht diesem Film ab.

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