Cannes 17:
GOOD TIME von Joshua und Ben Safdie

Robert Pattinson in ‚Good Time‘ von Josh und Benny Safdie © ad vitam

Als «Strassen-Opern» wurden die Filme der New Yorker Safdie-Brothers schon bezeichnet. In gewissem Sinne trifft das ihr jüngstes, sehr lautes und einigermassen sinnloses Produkt ganz gut.

Robert Pattinson spielt (wieder einmal sehr eindimensional) einen jungen Mann namens Connie Nikas, der zu Beginn des Films seinen offensichtlich geistig behinderten Bruder aus einer Therapie-Session holt und gleich zu einem amateurhaften Banküberfall mitnimmt.

Der Bruder, Nick Nikas, wird übrigens vom einen Regie-Bruder (Ben Safdie) gespielt, und die Rahmenhandlung (die Geschichte endet wieder in der gleichen Therapie-Klinik beim gleichen Arzt), ist der einzige nachvollziehbare Erzählstrang, der nicht von absoluter Dummheit getrieben scheint.

Der Rest des Films ist eine frenetische Abfolge einer von ziemlicher Idiotie getriebenen Kausalkette. Der Banküberfall gelingt zwar scheinbar, aber im Fluchtauto explodiert dann natürlich die Farbkapsel in der Tasche, welche das Geld unbrauchbar und die Täter leicht erkennbar macht.

Auf der Flucht vor der Polizei kracht Nick durch eine Glastür und bleibt liegen, worauf ihn sein Bruder mit Hilfe des Geldes der Mutter seiner von Jennifer Jason Leigh gespielten Gebrauchs-Freundin via Bail-Bond aus dem Gefängnis holen möchte, bevor ihm dort etwas passiert.

Aber natürlich hat sich der geistig behinderte Nick in der Zelle schon alle zum Feind gemacht (seine Aggressivität ist nicht ohne Weiteres als Behinderung identifizierbar), und so wurde er spitalreif geprügelt.

Worauf Connie ihn aus dem Spital entführt, total zubandagiert und im Rollstuhl, was sich auf immerhin überraschende Weise später als grösserer Fehler herausstellt, als man annehmen würde.

Robert Pattinson und Benny Safdie in ‚Good Time‘ von Josh und Benny Safdie © ad vitam

Good Time beginnt frenetisch und steigert sich ins Hysterische. Die Handlung könnte, mit etwas weniger Gewalt und Brutalität auch eine Komödie antreiben, einzelne Szenen, wie etwa die dauerquasselnde Rekapitulation ihrer eigenen vermasselten Tour einer Figur, sind durchaus als Kabinettstückchen zu würdigen.

Aber übers Ganze gesehen ist dieser Film so aufgeblasen und selbstherrlich wie der elektronische Bombast-Sound von Daniel Lopatin, alias Oneohtrix Point Never, der auch schon Sofia Coppolas The Bling Ring unter- (oder über-) malt hat. Hier kommt der Begriff «Strassen-Oper» dem Ganzen schon ziemlich nahe, zumal die Musik hin und wieder komplett übernimmt und die Bilder fast zum Videoclip degradiert.

Eine Geschichte über einen offensichtlich ziemlich unintelligenten Mann (und damit ist nicht der geistig behinderte Bruder gemeint), der seine eigenen Idiotien verkettet mit denen eines saufenden Junkies, der sich unter LSD auch schon mal aus einem fahrenden Taxi fallen lässt, und der Naivität eines 16jährigen schwarzen Mädchens, ist am Ende weder interessant, noch werden irgendwelche Einsichten vermittelt.

Damit das nicht auffällt, schwängert die Rahmenhandlung um den behinderten Bruder und seine Therapie das Ganze mit etwas Pseudo-Bedeutung. Damit disqualifiziert sich der ganze Film dann auch noch auf dieser Ebene, indem der Behinderte herhalten muss als Motor für alles andere.

Nachtrag vom 26. Mai 2017:

Wie Kollege Florian Keller schon früh erkannt hat: Traue keinem Urteil, das Du in Cannes gefällt hast. 

Der Zirkus hier unten hat durchaus zur Folge, dass einem manchmal die subjektiven Pferde durchbrennen, und schlechte Laune kann sich steigern bei der Arbeit. Wenn ich mein Gemäkel von weiter oben heute lese, mag ich jeden Satz weiterhin für gültig halten. Aber ich habe über meiner inhaltlichen Argumentation die formalen Aspekte des Films sträflich vernachlässigt.

Good Time ist verblüffend gut gemacht. Kamera und Schnitt, die atemlos schnelle, peitschende Dramaturgie, die reine erzählerische Energie sind bewundernswert und ziemlich einzigartig. Das ist ein Film wie ein höchst disziplinierter, kontrollierter Trip.

Dass ich mich weder mit den Figuren noch mit ihren Geschichten anfreunden mag, ist schade, und hat wohl auch damit zu tun, dass ich das Gefühl nicht loswerde, die Safdie-Brüder bauen hier eine Welt, die sie imaginieren und gleichzeitig behaupten sie ihre reale Existenz. 

Das ist tatsächlich beeindruckend kunstfertig. Aber eben auch artifiziell.

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