Das Prinzip dieses Films erschliesst sich spätestens dann, wenn man den Namen der von Isabelle Huppert gespielten Lehrerin Madame Géquil und den Titel kombiniert.
Sie macht eine traurige Figur, diese Physik-Lehrerin am Lycée Arthur Rimbaud in Lyon. Sie hat sich der Wissenschaft und dem Unterrichten mit ganzem Herzen verschrieben. Aber pädagogisches Talent geht ihr völlig ab; ihre Schüler und ihre Kolleginnen hassen die ungeschickte, kleine rothaarige Lehrerin. Bis sich ihre Persönlichkeit über Nacht verändert.Wer sich je selber als Lehrerin oder Lehrer versucht hat (oder auch nur mit etwas erstaunter Empathie auf die eigene Schulzeit und gewisse Episoden zurückblickt), wird sich schnell zurechtfinden in dieser von Serge Bozon sorgfältig gegen den Strich und die Erwartungen gebürsteten Ermächtigungsphantasie.
Die Lehrerin, welche sich von ihren Schülern Interesse und ein gewisses Mass an Leidenschaft erhofft, wird immer und immer wieder enttäuscht. Die beiden Klassenstreberinnen machen sie im Schulrat herunter, der Rektor (ein irrwitzig chargierender Romand Duris) kündigt genüsslich den finalen Besuch des Schulinspektors an. Und Malik, der gehbehinderte Schüler, den Madame Géquil besonders ins Herz geschlossen hat, ist der Anführer der verbalen und praktischen Klassenverweigerung.
Isabelle Huppert ist einmal mehr phänomenal. Mit minimalem Aufwand, rotgeränderten, dauerverheulten Augen, einer zusammengesunkenen Körperhaltung und einem unerklärlich panischen Gesichtsausdruck verkörpert sie die gequälte Lehrerin, mitleiderregend und herausfordernd zugleich.
José Garcia spielt – ohne Zurückhaltung – ihren Gatten und Hausmann, der ihr mit seiner Liebe und Fürsorge permanent den Blick auf die tägliche Realität versperrt.
Dabei baut der Film die Leidenskurve der Frau schön langsam auf, nach dem Carrie-Prinzip und – im Schulzimmer – fast so realistisch wie die vielen französischen Pädagogie-Filme, die auf den grossen Erfolg von Laurent Cantets Entre les murs (La Classe) gefolgt sind.
Das ist eine der Stärken dieser Inszenierung, dass sie nie in Genre-Posen erstarrt. Selbst nachdem Madame Géquil in ihrem Labor vom Blitz getroffen wurde und sich immer öfter des Nachts in Madame Hyde verwandelt, genügt dafür zunächst ein kleiner Lichteffekt und später eine leuchtende Negativüberlagerung der ganzen Gestalt.
Viel wichtiger sind natürlich die Veränderungen, welche bei Madame Géquil tagsüber in der Schule stattfinden. Die Autorität, die sie plötzlich ausstrahlt, die Energie, das Tempo.
Wenn schliesslich der Inspektor tatsächlich in der Klasse sitzt und die Lehrerin die eine ihrer beiden strebsamen Peinigerinnen in den eben gebauten farradayschen Käfig bittet, hat sie eine persönliche und pädagogische Souveränität erreicht, die ihr selber unheimlich wird.
Und das ist dann die zweite Stärke des Films: Er baut keine Superheldin auf, die sich schliesslich im Glanz ihrer neuen Fähigkeiten ausruhen kann, sondern er folgt weiter dem Stevensonschen Prinzip von Doctor Jekyll and Mr. Hyde.
Serge Bozon belässt die Ermächtigungsphantasie im pädagogisch didaktischen Rahmen und führt das mit Hilfe von Isabelle Huppert auch konsequent zu Ende. Dass Frau Huppert dabei nicht nur mit ihrem schauspielerischen Minimalismus trumpfen kann, sondern auch noch mit ein paar wissenschaftsphilosophisch übersteigerten Dauersprech-Sequenzen, erinnert in äusserst vergnüglicher Weise an ihre Philiosophielehrerin Nathalie in Mia Hansen-Løves L’avenir.