Berlinale 18: MORITZ DE HADELN – MISTER FILMFESTIVAL von Christian Jungen

Christian Jungen: Moritz de Hadeln – Mister Filmfestival. Verlag Rüffer und Rub, 2018

Wenn Dieter Kosslick nächstes Jahr seine letzte Berlinale als Direktor eröffnet, hat er eine ausdauernde Amtszeit hinter sich. Aber seinen Vorgänger wird er rein numerisch nicht übertrumpfen.

Pünktlich auf den Start der 68. Berliner Filmfestspiele ist eine Biographie erschienen über das Leben jenes Mannes, der die Berlinale ab 1979 zweiundzwanzig Jahre lang geleitet hat: Der Schweizer Moritz de Hadeln. Recherchiert und geschrieben hat das Buch Christian Jungen, Filmhistoriker und Kulturchef der NZZ am Sonntag. Sieben Jahre Arbeit stecken in den fast 500 Seiten zu «Moritz de Hadeln – Mister Filmfestival».

Als Festivalleiter habe er nur begrenzten Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg einer Festivalausgabe, erklärte Moritz de Hadeln zu Beginn seiner 6. Berlinale 1985 in einem Interview mit dem damaligen Schweizer Radio DRS. Da hänge vieles vom Wetter ab und auch davon, wie viele Festivalgänger an Grippe erkrankten…

Aber, wie Jungen in seiner Biographie aufzeigt, stellten sich Moritz de Hadeln zu Beginn in Berlin ganz andere Probleme als die Grippe. Sein Vorgänger Wolf Donner hatte zur Berlinale 1979 Michael Ciminos The Deer Hunter eingeladen, was – wegen der brutalen Darstellung der Vietcong in dem Film – den Vertretern der Sowjetunion und der DDR nicht genehm war.

Das führte zum Rückzug aller sowjetischen Filme von der Berlinale und zu einem Tiefpunkt in den filmdiplomatischen Beziehungen in den Osten – die doch eigentlich De Hadelns persönliche Stärke darstellten, sein Handgepäck und Antrittsversprechen.

Als Moritz de Hadeln 1979 für ihn und die damalige Filmwelt überraschend nach Berlin geholt wurde, hatte er sich seinen Ruf als geschickter Netzwerker von der Schweiz aus erarbeitet. Als Europäer mit familiären Wurzeln in allen möglichen Ländern und einem britischen Pass, versuchte er sich zuerst als Dokumentarfilmer, übernahm dann aber bald den Umbau und die Leitung des Filmfestivals von Nyon, seinem Wohnort, das er zusammen mit seiner Frau Erika zur ersten Adresse für Dokumentarfilme aus der ganzen Welt machte.

Als es 1972 am Filmfestival von Locarno wieder einmal kriselte, wurde er dort ebenfalls Direktor, nicht zuletzt dank der Unterstützung des damaligen Filmchefs des Bundes, wie Christian Jungen in seinem Buch rekonstruiert.

Politisch geschickt wie meist programmierte der mehrsprachig agierende De Hadeln in seinem zweiten Locarno-Jahr eine Reihe von Schweizer Filmen zum 10. Jahresstag des damaligen Schweizer Filmförderunggesetzes.

Zugleich aber holte er sowohl in Nyon wie auch in Locarno neue Filmkulturen nach Europa, vor allem aus den Ländern des sogenannten Ostblocks. Und genau diese Kontakte, in Verbindung mit seinem diplomatischen Geschick, prägten dann über Jahre hinweg sein Engagement in der Symbolstadt West-Berlin, die im kalten Krieg eine Art Insel darstellte.

Christian Jungens De Hadeln-Biographie ist über sieben Jahre hinweg entstanden, vor allem im direkten Kontakt mit Moritz de Hadeln und seiner Frau und Mitarbeiterin Erika. Aber Jungen hat in dieser Zeit auch viele Wegbegleiter, Mitstreiter, Nutzniesser und Gegner von De Hadelns stets umstrittener Karriere befragt.

Hauptberuflich ist der Autor Filmjournalist bei der Neuen Zürcher Zeitung NZZ am Sonntag und seit einigen Monaten ihr Kulturressortleiter. Seine extensiven Kontakte und seine weitgespannten Gespräche mit Wegbegleitern de Hadelns stützen die Recherchen recht einleuchtend ab, auch wenn Moritz de Hadeln und sein Blick und vor allem sein Privatarchiv offensichtlich die Hauptquelle darstellen.

Abgesehen von ein paar bildungsbürgerlichen Blumigkeiten – de Hadeln «parliert» «im Idiom Dantes» – ist diese Arbeitsbiographie angenehm nüchtern ausgefallen. Ein paar verschobenen Sprachbildern, etwa einer «in der Wolle des Regimes gewaschenen» Chinesin, hätte ein weiterer Lektoratsdurchgang vielleicht noch auf die Sprünge helfen können. Und wenn de Hadeln davon erzählt, dass in Hongkong die Chinesen den «schottischen Nationalfeiertag St. Patrick’s Day» in Schottenröcken feierten, mag der eine oder andere Ire eine Augenbraue hochziehen.

Moritz de Hadeln – Mister Filmfestival (Instagram des Autors) © chjungen

Alles in allem ist der Band eine durchaus kritische Würdigung des Mannes, dessen Diplomatie und Verhandlungsgeschick eher in Treffen mit Funktionären, auf Reisen und über extensive schriftliche Kommunikation funktionierte, als medial und öffentlich. In seinen Medien- und Festival-Auftritten wirkte De Hadeln häufig brüsk, manchmal gar grob, was ihn dann vor allem bei seinen Post-Berlinale Jobs als Interimsleiter des Filmfestivals von Venedig und einer verunglückten Festivalgründung in Kanada wieder einholte.

Christian Jungens Buch über diesen «Mister Filmfestival» ist in erster Linie Fachliteratur, eine Materialsammlung zur Entwicklung der globalen Filmpolitik zwischen dem zweiten Weltkrieg und der Jahrtausendwende. Und manche Zeitgenossen De Hadelns mögen einiges anders erlebt haben als er selber es darstellt. Zugleich aber bietet der Band viele Einsichten, genügend belegten Klatsch und etliches an Intrigen-Rekapitulation, um auch für filmfestivalinteressierte Nicht-Profis von Interesse zu sein.

«Moritz de Hadeln – Mister Filmfestival» von Christian Jungen ist im Verlag Rüffer und Rub erschienen. An der 68. Berlinale die morgen Donnerstag beginnt, gibt es auch eine offizielle Buch-Vernissage mit Moritz de Hadeln und dem Autor, nächsten Mittwoch, 21. Februar um 12 Uhr in der Berlinale Lounge am Marlene Dietrich Platz in Berlin.

Christian Jungen mit seinem Buch (Instagram des Autors) © chjungen