Berlinale 18: ISLE OF DOGS von Wes Anderson (Wettbewerb)

© 2018 Twentieth Century Fox

Man möchte bellen vor Vergnügen. Das ist ein Film für Hündeler und Menscheler. Ein echter Wes Anderson, animiert, lakonisch getextet, und mit jener kindlich explorersüchtigen Exotik, in die uns noch jedes seiner Werke entführt hat.

Diesmal ist das Wunderland Japan, jenes Japan, das aus allen Pop-Facetten besteht, Yakuza und Manga, Trommler und klassische Gemälde, Sagen und Gegenwart, aus Robotern, Wissenschaftlern, Hunden, Katzen und dem Jungen Atari (ja, Atari).

© 2018 Twentieth Century Fox

Atari klaut ein experimentelles Flugzeug und setzt über auf die Abfall-Insel, um seinen Hund zu suchen, der mit allen anderen Hunden der Stadt Megasaki ins dortige Hundeghetto abgeschoben worden ist.

Die filmdystopische Pseudodemokratur wurde schon lange nicht mehr dermassen hinreissend entlarvt und entwaffnet wie in diesem jüngsten Streich von Wes Anderson. Es sind tatsächlich die Hunde, welche der populistisch-faschistoide Yakuza-Bürgermeister von Megasaki, ein Aufsteiger aus der Katzenpartei, mit Hilfe seiner demagogischen Sturmtruppen zu Sündenböcken macht und aus der Stadt verbannt.

© 2018 Twentieth Century Fox

Krank seien sie alle, die Hunde, eine Gefahr für die Bürger, verkündet Mayor Kobayashi. Und dann lässt er darüber abstimmen, ob man sie auf Trash Island verbannen soll, die Müllinsel vor der städtischen Küste. Nicht ohne zuvor der Opposition pseudodemokratisch das Wort zu erteilen.

Wes Andersons Witz ist dabei wieder einmal dermassen vielschichtig angelegt, dass man zu Beginn einen Overkill zu befürchten beginnt. Fast wie bei einem Noise-cancelling-Kopfhörer, der tiefe Töne mit tiefen Tönen löscht.

© 2018 Twentieth Century Fox

Da sind zunächst einmal die Hunde. Krank und struppig kämpfen sie auf ihrer Abfallinsel ums Überleben und verrottenden Abfall. Als wieder einmal ein Abfallsack von einer der Seilbahngodeln plumpst, stehen King, Duke, Rex und Boss zusammen mit dem gefährlichen Streuner Chief einem Rudel Pudel gegenüber. Einer schlägt vor, erst mal den Sack zu öffnen, bevor man sich darum beisse. Vielleicht lohne es sich ja gar nicht. Dann liegen ein paar Fischreste mit Maden da und die Keilerei geht los.

Das ist dramatisch, aber eben auch urkomisch. Denn jeder der Hunde bekommt sehr schnell eine Persönlichkeit. Und alle, ausser dem Streuner Chief, trauern ihrer Zeit bei den Menschen nach. Darum sind sie auch alle sofort bereit, dem zwölfjährigen Atari zu Hilfe zu eilen, als der mit seinem Flugzeug auf die Insel stürzt. Alle ausser Chief – der aber dauernd überstimmt wird.

Die Loyalität der Hunde gegenüber den Menschen, die sie ins Ghetto verbannt haben, das erinnert nicht von ungefähr an die us-amerikanischen Uncle-Tom-Diskussionen und jede andere Rassismus-Diskussion, welche unter Betroffenen grassieren und die Unterdrückten im schlimmsten Fall zu Unterdrückern machen.

Wes Andersons Gespür für Situationskomik schafft es aber immer wieder, diese eigentlich allzu plakativen Mechanismen ad absurdum zu führen. Und dabei helfen ein paar weitere clevere Konventionen dieses Films.

So wird schon bald am Anfang erklärt, dass alle Figuren ihren angestammten Dialekt und ihre Sprache sprechen würden. Hin und wieder werde es Übersetzungen geben, maschinelle oder von Studenten billig gemachte. Das Bellen der Hunde dagegen sei konsequent in Englisch gedreht worden. So verstehen wir Duke und Company und natürlich ihre Stimmen, darunter jene von Bryan Cranston, Edward Norton, Scarlett Johansson, Jeff Goldblum oder Harvey Keitel.

Damit sind wir schon rein sprachlich auf den Hund gekommen und emotional voll im Gebell. Wenn die komplizierte Geschichte komplizierte Vorgeschichten erklärt bekommen muss, wird der Hinweis auf eine Rückblende eingeblendet. Und natürlich früher oder später das hilfreiche «End of the Flashback».

© 2018 Twentieth Century Fox

Wie jeder Wes Anderson Film ist auch Isle of Dogs ein Familienfilm, also ein Film über Familien, beziehungsweise, im Kern stets über eine einzige, grosse, weitverzweigte Wahlverwandtschaft. Wie eine Marktkonzession wirkt darin allenfalls die Figur der amerikanischen Austauschstudentin, welche den studentischen Widerstand für die Hunde und gegen die Machenschaften des korrupten Mayors anführt. Vielleicht ist sie aber auch einfach Wes Andersons Hinweis auf die «kulturelle Appropriation» die jeder seiner Filme auf ganz eigene, charmante, entwaffnende Weise darstellt.

Denn ein Puppenanimationsfilm dieser Grössenordnung, mit diesem Detailreichtum, kann auch computergestützt nur mit Hilfe unendlich vieler Zuträger, Mitstreiterinnen, Grafikern, Zeichnern, Animatorinnen und kulturellen Spezialistinnen entstehen.

Das formal und kulturell japanisch-exotische Stilmittel, das Anderson hier einsetzt, unterscheidet sich dabei kaum von Hayao Myazakis Studio-Ghibli-Vorlieben für europäische Architektur und Steampunk-Elemente. Es ist der kulturelle Mix und die Faszination für das Andere, welche diese Welten antreiben.

War Andersons The Fantastic Mr. Fox von 2009 (tatsächlich schon so lange her?) noch ein (durchaus überzeugender) Testlauf in Sachen Animation, ist Isle of Dogs nun ganz klar ein Kulminationspunkt. Diese Hunde sind hinreissend, aber sie sind und bleiben Hunde, im Gegensatz zu Disneys anthropomorphen Schimären behalten sie das «Hündische» auch im Heroischen. Und das ist eigentlich der Kern aller Wes Anderson Filme: Ob sich nun die Menschen oder die Hunde zum Affen machen bei ihm, die Würde wird nie angetastet, die Komik und die Selbstironie und die unnachahmlich lakonischen Dialoge sind der eigentliche Sockel für die Würde, das Fundament.

Da verzeiht man dem Film Isle of Dogs denn auch seinen harmonisch-utopischen Schluss, denn auch der unterliegt dem ironisch-herzlichen, humanisch-hündischen Generalbass.

Wes Anderson © 2018 Twentieth Century Fox

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