Als Alexey German Jr. 2015 mit seinem formal beeindruckenden Under Electric Clouds im Berlinale Wettbewerb vertreten war, liess mich das dystopische Unsittengemälde einer zerfallenden russischen Welt einigermassen ratlos zurück. Zu pessimistisch erschien mir das, zu hoffnungslos.
Nun sind wir drei Jahre näher an dieser damals gezeichneten unbestimmten Zukunft, und die allgemeine Stimmung ist näher an jenem Film, als ich mir damals ausmalen wollte. Und nun dreht German selber zurück, ins Jahr 1971, nach Leningrad im November 1971.
Der junge Autor Sergei Dovlatov schafft es nicht, sich so weit zu verbiegen, um in Breschnews erstarrter Sowjetunion ökonomisch oder künstlerisch einen Fuss in die Tür zu kriegen.
Wenn er für die Zeitung der Werft einen Artikel über die Feierlichkeiten und den Film Jahrestag er Revolution schreiben soll, kann er sich den Spott nicht verkneifen, angesichts des Einfalls, die grössten Dichter Russlands von pittoresken Werftarbeitern spielen zu lassen, und ihnen auch noch hehre Sätze zu sowjetischen Werten in den Mund zu legen.
Seine Bücher werden nicht gedruckt und bei grösseren Zeitungen kommt er nicht unter, weil ihm die Aufnahme in den Schriftstellerverband ebenfalls verwehrt bleibt. Vielleicht aufgrund seiner armenisch-jüdischen Vorfahren wie er einmal vermutet. Wahrscheinlich aber vor allem aufgrund der Ehrlichkeit seiner Prosa.
Alexey German entwirft über 126 Minuten ein spöttisches, trauriges, ergreifendes Bild einer Kultur-Bohème, die nur noch in Wohnungen und Hinterzimmern überlebt. Von Autoren und Malern, die sich zum Überleben in die staatliche Propagandastrukturen einfügen müssen, positive Texte und Artikel zu liefern haben, heroische Gedichte und aufbauende Gemälde, auf denen man auch etwas erkennen kann.
Über lange Zeit ist der schiere Reichtum dieser zwischen Verzweiflung und Begeisterung changierenden Menschen so verbitternd wie unterhaltsam. German lässt in langen kunstvollen Plansequenzen die Kamera durch die redenden, trinkenden, rauchenden Künstlerfamilien fahren, bühnenreif inszeniert, mit einer fliessenden Perfektion, die ihresgleichen sucht.
Das wirkt oft so als man selber mit dem Protagonisten von Freundespaar zu Freundespaar durch die vollen Wohnungen schlendern würde, da einen Einwurf machend, dort etwas aufschnappend.
Und dann wieder spielt der Titelheld souverän mit seiner Bildung und seiner Wachheit, wenn er etwa einen armseligen Spitzel entlarvt, der auf dem Schwarzmarkt Nabokovs «Lolita» feilbietet, ohne zu wissen, was das eigentlich ist. Dovlatov dreht ihn mit zwei, drei markigen Sätzen um, indem er sich als Kommissar ausgibt, und ihm aufträgt, die Liste aller, welche «Lolita» erwerben möchten, später direkt bei ihm abzuliefern.
Aber mit Dovatlovs wachsender Verzweiflung wird auch der Film dunkler, bis man am Ende daran erinnert wird, dass Sergei Dovlatov nicht einmal fünfzigjährig im New Yorker Exil gestorben ist. Ohne zu wissen, dass er zum bekanntesten und wohl auch meistgelesenen modernen russischen Autor werden sollte.
Alexey Germans Film ist ein kraftvolles, diszipliniertes, witziges und verzweifeltes Stück Kino. Und eine klare Warnung vor allem, was von der Instrumentalisierung von Kultur und ihre Unterwerfung unter irgendwelche Nutzansprüche ausgeht. Noch vor zwei, drei Jahren hätte man diesen Film als Memento gelesen, als Erinnerung und mit dem obligaten «nie wieder» als Tenor.
Heute wirkt er schon wieder anders, näher, dringlicher.
Ganz abgesehen davon, dass das 126 Minuten meisterliches Kino sind.