Berlinale 18: ELDORADO von Markus Imhoof (ausser Konkurrenz)

Giovanna und Markus © frenetic films

Einfach einen weiteren Dokumentarfilm über «mare nostrum» und das Elend der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer konnte und wollte Markus Imhoof nicht machen. Als er allerdings zu drehen anfing, waren die später breit wahrgenommenen Flüchtlingsfilme auch erst am entstehen.

Vor zwei Jahren gewann Gianfranco Rosis Fuocoammare den goldenen Bären in Berlin. Und in Venedig wurde letztes Jahr Ai Weiweis Human Flow heftig diskutiert.

Operazione Mare Nostrum © frenetic films, Massimo Sestini

Markus Imhoof ist der Schweizer Regisseur, der sich 1981 zuhause für Das Boot ist voll noch gegen den Vorwurf der «Nestbeschmutzung» wehren musste, nachdem der Film an der Berlinale schon den silbernen Bären gewonnen hatte.

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Das Boot ist voll und seine Rekonstruktion der Schweizer Politik der geschlossenen Grenzen für die jüdischen Flüchtlinge der Nazizeit klingt auch jetzt wieder an. Denn Imhoof hat zwar auf italienischen Schiffen gedreht, in einem Auffanglager in Italien und in einem mafiösen Ghetto für untergetauchte Abgewiesene, die via Schwarzarbeit und Prostitution zu überleben versuchen.

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Aber Imhoof lässt diese Geschichten nicht jenseits der Alpen. Er erinnert sich einerseits an Giovanna, das italienische «Ferienkind», das seine Eltern während des zweiten Weltkrieges für einige Zeit aufgenommen hatten und seine Kinder- und Jungenfreundschaft zu ihr. Und er filmt in einer Schweizer Unterkunft für Asylbewerber, an der Grenze zu Italien, an Bahnhöfen, überall dort, wo die Fluchtbewegungen durchgehen und gesteuert oder gestoppt werden.

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Eldorado ruft vor allem im ersten Drittel immer wieder Bilder ab, die wir schon kennen. Die goldene Isolationsdecke, die zusammengepferchten Männer und Frauen und Kinder in halblecken Booten, die routinierte und doch immer wieder von neuen Trauermomenten durchbrochenen Rettungsaktionen.

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Aber Markus Imhoof holt mit Hilfe seines Kameramannes Peter Indergand schon bei diesen Bildern immer wieder mehr heraus, als die Reportage-Standards. So filmt er den prekären Wechsel vom Boot ins Rettungsschiff über den beweglichen Spalt zwischen den Booten so, dass nicht einfach die erste Erleichterung der Rettung im Vordergrund steht, sondern auch der durchaus nicht nur symbolische Sprung über das Nichts, das Verderben, den Untergang in eine neue Unsicherheit.

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Es sind zwei Elemente, welche Imhoofs Film zu einem bleibenden, beeindruckenden Dokument machen:

Einerseits seine Verknüpfung mit seinen persönlichen Erinnerungen an das Kriegsopferkind Giovanna, die enge familiäre Verbundenheit im Kontrast zu all den rekonstruierten staatsräsonablen Unmöglichkeiten, etwa dem Umstand, dass diese «Ferienkinder»-Aufnahmen ein Zugeständnis ans Naziregime waren, im Tausch gegen die Transitvisa für jüdische Flüchtlinge. Oder die strikte Regelung der Hilfswerke, dass die Aufenthalte der Kinder begrenzt sein mussten, um emotionale Bindungen zu verhindern.

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Zum anderen die mit versteckte Kamera gefilmten Aufnahmen in diesem illegalen Flüchtlingsghetto in Italien, die vom War Photographer-Kameramann und Imhoof selber nicht nur mit erheblichem Risiko aufgenommen wurden, sondern auch mit einer erstaunlichen Präzision. Die kleinen Spionagekameras haben einen fix eingebrannten Timecode im Bild, um die Aufnahmen dokumentenecht zu machen.

Und natürlich sind es nicht die Bilder alleine, welche schockierende Informationen liefern. Sondern vor allem der Kommentar des jungen Gewerkschafters, der als Führer durch das Lager fungiert. Die Bilder illustrieren schlagend, was er an Zusammenhängen und Mechanismen schildert.

Etwa die Absurdität, dass die ausgebeuteten Schwarzarbeiter aus Afrika Tomaten ernten, die dann in Dosen auf dem afrikanischen Markt zu Dumpingpreisen verkauft werden, welche unter den Produktionskosten der afrikanischen Gemüsebauern liegen.

Oder der Umstand, dass niemand offiziell von Prostitution redet, am Abend aber regelmässig die italienischen Männer aus der Umgebung vor den Frauenbaracken Schlange stehen.

Eldorado von Markus Imhoof ist nicht einfach ein Film mehr über Bootsflüchtlinge und ihre Not. Er schlägt faktische und emotionale Brücken, denen man sich nicht entziehen kann und will. Und das ist eine Leistung, angesichts unserer alltäglichen Betäubung.

SRF hat diesen Film koproduziert. Er läuft im Wettbewerb der Berlinale ausser Konkurrenz, ist aber nominiert für den Dokumentarfilmpreis.

In der Deutschschweiz kommt Eldorado am 8. März ins Kino, ein Interview mit Markus Imhoof ist in Kontext auf SRF2 Kultur an diesem 8. März geplant.

Markus Imhoof © frenetic films