Berlinale 18: TWARZ (Mug) von Małgorzata Szumowska (Wettbewerb)

Mateusz Kosciukiewicz © Bartosz Mronzowski

Ob man den Titel besser mit «Fresse» oder mit «Fratze» übersetzt? Gemeint ist jedenfalls das Gesicht von Jacek. Aber das erfahren wir erst nach etwas mehr als einer halben Stunde.

Davor beschenkt uns Szumowska mit einem filmischen Tempodrom. Es gibt so viel zu sehen und zu hören, so viele spöttisch-grossartige Bilder, die nicht abreissen. Das beginnt mit dem Sturm konsumwütiger Bürgerinnen und Bürger in Unterwäsche auf einen Stapel vergünstigter Fernseher. Wer sich auszieht, ist schnäppchenberechtig.

Jacek war dabei, danach brettert er mit seinem Kumpel im feuerroten Cinquecento nach Hause, mit übersetzter Geschwindigkeit und hartem Metalsound. Jacek, von den Besoffenen vor dem Dorfladen auch Jesus genannt, ist der Aussenseiter, der lebensdurstige, aufgestellte, lanhaarige Metalhead, der mit seinem Schwager auch schon mal Krach bekommt, weil der findet, Polen sollten in Polen bleiben und nicht von England träumen.

Jaceks Freundin Dagmara dagegen träumt auch und nimmt das Verlobungsangebot des Wildfangs gerne an – auf der Hängebrücke. Zuvor hat er sie auch schon hoch zu Pferd durch die Landschaft geritten: Jacek hat Ideen.

Jacek hat auch eine Arbeit, zusammen mit vielen anderen des Dorfes baut er an der riesigen Jesusstatue, welche das Dorf einst bekanter machen soll, als Rio De Janeiro.

Bis er ausrutscht und in die Tiefe fällt. Nun beginnt ein neuer Film, dunkler, gemächlicher, schmerzlicher. Denn Jacek wird gerettet, braucht aber eine Gesichtstransplantation, die erste in der Geschichte Polens.

Małgorzata Szumowska ist Stammgast an der Berlinale. 2013 hat sie die Nöte eines schwulen Priesters zum Anlass genommen für abgestufte Gesellschaftskritik in W imie. 2015 holte sie mit ihrem Körperkrimi Body / Cialo den silbernen Bären.

Nun entsteht der Eindruck, sie habe die zwei Filme kombiniert zu einer Gesellschaftssatire im heutigen Polen mit einem seltsamen Body-Twist. Denn Jaceks neues Gesicht macht ihn zugleich zu einem Medienstar und zu einem Ausgestossenen im Dorf.

Dagmara will nichts mehr von ihm wissen, seine Mutter organisiert mit dem Priester gar einen Exorzismus, um den Teufel auszutreiben, der wohl über das fremde Gesicht von ihrem Sohn Besitz ergriffen hat.

Das ist eine satte, traurige und gut erzählte Geschichte. Was dem Film allerdings in die Quere kommt, ist ausgerechnet seine virtuose erste halbe Stunde. Da ist alles pures Kino, Bewegung, Verblüffung, Tempo.

Dann aber passiert der Unfall und nun wird erzählt, gezeigt, gelitten.

Gefilmt sind die ganzen neunzig Minuten mit Tilt-Shift-Objektiven, das sind Linsen (oder auch Nachbearbeitungsprogramme), welche die Schärfentiefe auf einen kleinen Ausschnitt beschränken und damit in den meisten Fällen einen Miniatureffekt erzeugen, Bilder, die wirken, wie in einer Modelllandschaft gedreht.

In diesem Film dient der Effekt allerdings eher dazu, den Blick auf einen kleinen Bildauschnitt zu lenken, ein einzelnes Gesicht etwa.

Am Ende passiert der riesigen Jesusstatue etwas ähnliches wie Jacek. Weil sie gebaut wurde nach dem Vorbild des Jesus von Rio de Janeiro, blickt sie geradeaus, nicht in die vom Bischof gewünschte Richtung zur schwarzen Madonna von Czenstochau. Das muss natürlich noch geändert werden, also dreht man den Kopf zur Seite. Nun breitet Jesus seine Arme aus in Richtung Tal und See – blickt aber starr über die rechte Schulter.

Ein passendes Bild für Polen.

Malgorzata Szumowska © Zuza Krajewska