Mit La loi du marché hat Stéphane Brizé 2015 in Cannes begeistert, sein Hauptdarsteller Vincent Lindon hat den Darstellerpreis gewonnen. Die hauptsächlich mit Laien gedrehte Geschichte um Arbeitslose und ihren Kampf um Würde und Verdienst hatte eine ungewohnte, kühle Unmittelbarkeit, fern der Klassenkampfromantik eines Ken Loach. Aber klar die gleichen Sympathien.
Nun hat das Duo Lindon/Brizé das Konzept eine Nummer höher geschraubt. En guerre nimmt seinen Titel wörtlich; wir sind dabei beim gewerkschaftlichen Kampf gegen die Schliessung einer Autofabrik in Frankreich.
An vorderster Front ist der alte Gewerkschafter Laurent Amédéo (Vincent Lindon) mit seiner jüngeren Kollegin Mélanie (Mélanie Rover). Laurent ist überzeugt, dass es nur darum gehen kann, die Schliessung des Werks zu verhindern. Schliesslich haben die Gewerkschaften vor zwei Jahren die Streichung sämtlicher Boni bei der Arbeiterschaft und zusätzliche Arbeitsstunden bei gleichem Lohn gutgeheissen, im Gegenzug hat der Konzern staatliche Unterstützung bekommen und zugesichert, den Betrieb mindestens fünf weitere Jahre aufrecht zu erhalten.
Nun soll doch geschlossen werden, die Entscheidung ist in Deutschland an der Spitze des Mischkonzern gefallen. Und nun fordern die Gewerkschafter den Dialog, zuerst mit der französischen Direktion, später mit dem dem Konzern-CEO. Ihr Druckmittel ist der Streik und die Blockade der Fabrik – alles mit heftiger medialer Begleitung.
Brizé inszeniert das effektvoll mit endlosen Diskussionen, heftigen Massenszenen und – effizient wenn auch wenig elegant – über die laufende Fernsehberichterstattung zum Arbeitskampf.
Dazu setzt er zum ersten Mal auf einen sehr präsenten, schiebenden musikalischen Score. En guerre ist ein Spielfilm mit dokumentarischem Habitus. Aber anders als Ken Loach setzt Brizé kaum auf die Lebensumstände der kleinen Leute.
Zwar sehen wir Amédéo hin und wieder in seiner privaten Umgebung, am Telefon mit seiner Tochter, die nächstens seine Enkelin zur Welt bringen wird, oder bei einer kleinen Feier mit den Gewerkschaftskolleginnen und Kollegen.
Aber den grössten Teil des Films über sehen wir Vincent Lindon reden, rufen, brüllen. Er sagt seine Sätze zwei oder drei Mal, wie die meisten seiner Mitstreiter. Die Gegenseite ist eloquenter und verklausulierter, rein sprachlich werden da deutliche Grenzen aufgezogen.
Die Gewerkschaften halten die Schliessung des Werks für reines Shareholder-Appeasement. Der Konzerngewinn und und die Dividendenausschüttungen sind hoch, die angeblichen Verluste stehen in keinem Verhältnis zu den Gewinnsummen über den ganzen Konzern.
En guerre bleibt dicht dran, wie La loi du marché. Der Film vermittelt die Mechanik des Kampfes, die Streitereien auch zwischen den einzelnen Gewerkschaften, von denen die einen einfach versuchen, möglichst hohe Abgangsentschädigungen herauszuholen, während Laurent und die Seinen auf den Erhalt der Fabrik zielen.
Etwas über zwei Stunden ist man da mit dabei, und der Film bringt einem den zermürbenden Kampf gegen ein übermächtiges, trotz personifizierter Vertreter anonymes System sehr nahe.
Am Ende hat man zwei Dinge begriffen: Das globalisierte Shareholder-System ist unaufhaltsam, die Konzernleitung weigert sich, das Werk einem französischen Konkurrenten zu verkaufen, trotz brauchbarem Angebot und staatlicher Unterstützung: Die Schliessung ist im Konzern-Interesse.
Und «die da oben halten immer zusammen, im Gegensatz zu uns», das ist die bittere Erkenntnis von Laurent, nachdem ihn die «gemässigten» Gewerkschafter zum Sündenbock für den geplatzten Verkaufsdeal gemacht haben.
Das einzige, was gegen die unmenschlichen Konzerninteressen zu helfen vermag, ist Öffentlichkeit. Das postuliert der Film (in einer nachvollziehbaren Autoreferenz) auf überraschende, drastische, dramatische Weise.
Und damit ist Brizé zwar nicht bei einer völlig neuen Erkenntnis angelangt. Aber er hat doch den Agitationsfilm mit Aufklärungsanspruch à la Loach definitiv ein Jahrhundert weiter gebracht.