Nachdem ihm der Erfolg seines überraschenden, minimalistischen Horrorfilms It Follows (2014) den Zugang zu einem grösseren Budget ermöglicht hat, lässt David Robert Mitchell in seinem dritten Film alles auf einmal los, was er sich als künstlerischen Wurf erträumt hat.
Under the Silver Lake ist ein Kompendium von Hommagen, Ideen, Theorien und Vorstellungen. Ein perfekt gemachter, dichter, wirrer und unterhaltsamer Film, der sich für nichts wirklich entscheiden mag.Aber das hat er gemein mit seiner von Andrew Garfield gespielten Hauptfigur, dem 33jährigen Sam. Sam lebt in einem guten Aussenquartier von Los Angeles, in einem schönen Appartement, dessen Miete er schon länger nicht mehr bezahlt hat. Er fährt einen geleasten schwarzen Ford Mustang, aber meistens geht er zu Fuss.
Sam ist sympathisch, verträumt, ein wenig verloren. Er arbeitet offensichtlich nicht, auch wenn ihn seine Mutter am Telefon immer mal wieder fragt, wie es denn bei der Arbeit laufe.
Statt dessen schaut er Frauen nach, beobachtet seine schon etwas ältere Nachbarin auf dem Balkon, die oben ohne ihre Papageien füttert, oder die blonde Sarah (Riley Keough, die hier in Cannes gestern noch als Simple in Lars von Triers The House That Jack Built ihre Brüste an den Killer verloren hat) mit ihrem Taschenhund am Pool.
Sam ist kein klassischer Nerd, auch wenn er Comics liebt und Games. Er kommt den Frauen schnell nahe, auch Sarah mag ihn offensichtlich. Aber am nächsten Tag ist sie verschwunden, ihr Appartment leer geräumt.
Nach all den sonstigen seltsamen Ereignissen, etwa der nicht abreissenden Serie von Hundemorden in der Stadt, oder einem Eichhörnchen, dass Sam plötzlich von hoch oben vor die Füsse fällt und auf dem Gehweg zerplatzt, wittert Sam nicht nur eine Verschwörung, sondern er beginnt auch, überall Zeichen zu sehen.
Sam findet Codes in einem lokalen Comic, in den Texten der Songs einer lokalen Band, er beginnt seine Umgebung mehr und mehr zu lesen und zu interpretieren und erschreckt damit seine gelegentliche Sex-Freundin.
Under the Silver Lake ist einer jener Filme, die aus ganz vielen anderen zusammengesetzt scheinen. Da steckt, nicht nur über die Musik und die surrealen Ereignisse, viel David Lynch drin, vor allem Mullholland Drive natürlich, aber auch Lost Highway. Die Stimmung erinnert zuweilen an Donnie Darko oder Brian de Palmas Phantom of Paradise.
Aber auch die in Los Angeles spielenden Klassikerkompendien wie The Black Dahlia und natürlich David Cronenbergs Maps to the Stars standen irgendwie Pate und wahrscheinlich sogar Terrence Malicks Knight of Cups.
Die Verschwörungstheorien jagen sich; die Welt scheint nur noch aus Zeichen zu bestehen, und irgendwo gibt es eine grandiose, deprimierende Szene, in der Sam herausfindet, dass die gesamte populäre Musik über Generationen hinweg an einer zentralen Stelle erzeugt worden ist, egal ob Protest- oder Liebeslied, ob die Musik seiner Eltern, die Nirwana-Songs seiner Generation, oder die aktuellen Hits jener Gruppe, die er ein paar Tage zuvor gehört hat.
Under the Silver Lake ist ein grandioser, umfassender Versuch, alles auf einmal zu erzählen, sich nirgendwo festzulegen, und dabei auch gleich alles wieder zu negieren.
So ganz gelungen ist das nicht; der Film spielt mit dem Bedürfnis des Publikums, die angezählten Mysterien und ausgelegten Spuren auch aufgelöst zu bekommen und er verweigert das zugleich, wie einst David Lynch in seinen besten Zeiten. Aber er bleibt dabei stets seltsam distanziert, wie die Hauptfigur, die nirgendwo hin gehört und sich mit ihrer obsessiven Detektivarbeit irgendwie in der Welt zu verankern sucht – und sich zugleich damit den Boden unter den Füssen wegzieht.
Das geht alles nicht ganz auf, fühlt sich hin und wieder ein bisschen wie Hochstapelei an. Aber der Film ist so gut gemacht, dass man gerne dabei bleibt und sich treiben lässt. Hat man erst einmal aufgehört, sich auf eine konkrete Auflösung zu kaprizieren.
Man könnte durchaus behaupten, Under the Silver Lake sei ein Antidot zu La La Land.