China, Hongkong, Taiwan. Dieser Film ist spielt gleichzeitig ‚on the road‘ und an einem Ort. Während seine Figuren über die Grenzen zerrissen werden.
Seit fünf Jahren lebt die Regisseurin Yang Shu im Exil in Hongkong. Ihre Mutter zuhause in Sechuan hat ihren Enkel noch nie getroffen. Yang Shu musste China verlassen, nachdem sie mit ihrem Film «The Mother of a Recluse» allzu deutlich die politische Geschichte ihres Vaters nachgezeichnet hatte.
Nun ist Yang Shus Mutter krank und unternimmt eine organisierte Bustour nach Taiwan, während ihre Tochter, ihr Mann und der Enkel ebenfalls dort sind, unter dem Deckmantel eines Filmfestivals.
Ying Liang ist kein Unbekannter in Locarno, 2012 bekam er den Regiepreis für When Night Falls.
Vier Menschen, die in Taiwan als Touristen unterwegs sind, sich immer wieder treffen, aber so tun, als ob diese Treffen zufällig wären. Eine Reiseveranstalterin, welche offen erklärt, sie müsse rapportieren. Eine kranke alte Frau, die sich von ihrer Tochter verabschieden will, ihren Enkel kennenlernen, und ein paar offene Ende schliessen möchte.
A Family Tour ist eine herzzerreissende Anklage, eine Dissidentengeschichte, die sich eigentlich selbst erzählt. Chinas Behörden sind stets präsent, ohne je aufzutauchen. Drei der Geldgeber für Yang Shus jüngsten Film sind verschwunden, die Regisseurin vermutet, sie seien Chinas Geheimpolizei in die Hände gefallen.
Das alles hätte durchaus auch in einem temporeichen Hongkong-Thriller erzählt werden können. Aber Ying Lang macht das Gegenteil. Ruhiger und stationärer könnte man die Interaktion dieser vier Menschen kaum zeigen, auch wenn sie dauernd unterwegs sind, im Taxi, im giftgrünen Tourbus.
Im Hintergrund gleiten Lastwagen vorbei, riesige Schiffe. Immer wieder wird die Landschaft zerschnitten, ohne sich zu verändern. Und fast alles wird offen ausgesprochen.
Das geht so weit, dass ein Taxifahrer die Regisseurin erkennt, nachdem er zunächst vermutet hatte, der Mann sei wohl ein Regisseur, schliesslich findet ja eben ein Festival statt. Der Taxifahrer hat sogar ihren Film gesehen. Aber er habe ihm nicht gefallen sagt er. Viel zu viele endlose Einstellungen…
Diese ironischen Momente sind rar im Film, aber sie poppen auf wie Zimmerfeuerwerk. Und die Darstellerin der Yang Shu erinnert immer wieder an Charlotte Gainsbourg. Wie diese oszilliert sie unfassbar zwischen mädchenhafter Erscheinung und trotziger Entschlossenheit.
Das ist kunstvolles, zurückhaltendes, ernsthaftes Kino. Wenn die alte Frau schliesslich indirekt erklärt, chinesische Liebe bestehe darin, sich von verwandschaftlichen Verbindungen loszusagen (severing family ties), zum Schutze jener, die man liebe, dann versteht man plötzlich die seltsam zerrissene Anhänglichkeit ihrer Tochter. Die ja zugleich jedem anderen Mutter-Tochter-Verhältnis in dieser Welt eingeschrieben ist.
So bringt uns dieser Film den Schmerz schneller, stärker und effizienter näher, als seine ruhiger Erzählfluss es vermuten liesse.