Der Film beginnt atemberaubend – im wahrsten Sinne des Wortes. Zuerst ist nur verängstigtes Atmen zu hören, oder vielmehr beengtes Atmen, dann ist der Kopf eines Astronauten in einem sehr engen Cockpit zu sehen.
Während rund fünf Minuten bleiben wir in diesem engen Cockpit, sehen nur das im Helm eingezwängte Gesicht des Astronauten oder aus dem kleinen Fenster einen Ausschnitt Himmel. Zu hören sind der Atem des Piloten und das Klappern und Rattern des Fluggerätes. Und dann dieser Moment: das Fluggerät verlässt kurz die Atmosphäre, wird unmanövrierbar. Aber der Pilot schafft es, wieder runter zu kommen und in der Wüste zu landen. Was für ein atemberaubender Filmstart, was für ein raketengleicher Festivalstart.
Der Mann in diesem Cockpit ist Neil Armstrong (Ryan Gosling) bei einem seiner ersten Flüge Anfang 60er Jahre, die ihn für kurze Zeit aus der Atmosphäre tragen.
First Man ist ein Porträt des ersten Mannes auf dem Mond und erzählt das Leben Neil Armstrongs vom Beginn der 60er Jahre an, als sich der Pilot und Ingenieur sich als Astronaut bei der NASA bewirbt bis hin zur Mondlandung am 21. Juli 1969 – das 50-Jahre-Jubiläum wird nächstes Jahr sicher unter anderem mit diesem Film gefeiert.
Regisseur Damien Chazelle, der vor zwei Jahren mit La La Land schon einmal das Festival hier eröffnet hat, erzählt Armstrongs Geschichte als intimes Porträt. Der Film spielt in zwei Atmosphären: In den Räumen und Raketen der NASA, die hier in Chazelles Film sehr nüchtern und nicht glorios und geheimnisumwittert wirkt. Und im Haus der Familie Armstrong, wo Neil und seine Frau Janet den Tod ihrer kleinen Tochter verarbeiten müssen.
Es gelingt dabei Damien Chazelle und seinen Schauspielern Ryan Gosling als Neil Armstrong und Claire Foy als seine Frau Janet, mit dem Stoff «Mondlandung», der zu grossem Pathos verführen könnte, eine sehr intime Nähe herzustellen. Im Zentrum steht eben nicht die Mondlandung, sondern der Mensch Armstrong – und wie er und sein Umfeld durch seine Arbeit als Astronaut sich verändern.
First Man ist viel eher ein intimes Porträt denn glorioses Historienkino. Nur ganz selten sind die Pferde dann doch durchgegangen mit dem Regisseur und seiner Crew: Wenn er es dann doch nicht unterlassen konnte, bombastische Musik über den Mondanflug zu legen. Oder wenn er etwas allzu deutlich Kubricks 2001: A Space Odyssey zitiert und Walzermusik spielt, während die Gemini-Mission im All fliegt. Und streckenweise ist der Film einfach etwas zu lang.
Aber die tollen Momente überwiegen. Das eigentlich Grossartige an diesem Film ist das Gespür für Physis und Materialität, das er vermittelt.
Selten sind die körperlichen und seelischen Strapazen, die die Raumfahrt für die Menschen bedeutet, als Zuschauerin besser mitzuerleben, man kann es sehen, hören, spüren: Die Männer haben Angst, fallen in Ohnmacht, übergeben sich, sind überwältigt. Aber nicht nur die Menschen, auch das Material, aus dem diese Raketen und Kapseln gebaut sind, ist fast physisch erfahrbar: Da klappert alles, da glänzt auch nichts grossartig, die Schalter sehen manchmal aus wie die Knöpfe eines alten Kochherds. In all diesem unzulänglichen Material fliegen entschlossene und dennoch verängstigte Menschen ins All, auf den Mond. Und setzen dort den Fuss auf einen Himmelskörper, der nichts ist, als eine unnütze, karge Steinwüste.
Damien Chazelles Film erzählt zwar alles mit, die Politik der 60er Jahre, das Wettrüsten zwischen der UdSSR und den USA, die 68er-Bewegung. Aber das alles ist immer nur in Radio und Fernsehen zu hören, zu sehen, selten bewegt sich der Film, der übrigens mit manchmal recht wackeliger Handkamera gefilmt ist, aus seinen beiden Atmosphären NASA und Familie heraus.
Es sei denn, nach oben, ins All. Der Film bleibt intim, bleibt bei den Figuren. Und schafft den Spagat recht gut, die Geschichte eines «amerikanischen Helden» zu erzählen und genau diese Heldenverehrung, die man in den USA so liebt, zu vermeiden.