Wie gut gealterte Punks feixen die fünf Männer in die Kamera. Das Bild nimmt eine Einstellung auf, die vor vierzig Jahren für den Original-Tscharniblues entstanden ist.
Der Mann ganz rechts ist Bernhard „Bäne“ Nick, der Vater von Aron, dem Regisseur. Damals, 1979, war es Bernhard Nicks Bruder, Arons Onkel, der Regie führte.
„Dr Tscharniblues“ war mehr Idee als Konzept, mehr Punk als Blues. Die Nicks und ihre Freunde, alle aufgewachsen im Tscharnergut, der ersten Hochhaussiedlung von Bern, versuchten ihr Lebensgefühl, ihre Hoffnungen und ihren Frust in Bilder und Songs zu packen.
Halb fiktiv, halb dokumentarisch drehten sie Szenen um sich selber als Freizeit-Musiker, Aufbrechende, Ausbrechende, feierten ihre Freundschaft, ohne es so richtig zu merken.
An den Solothurner Filmtagen von 1980 schlug der kurze Film völlig überraschend ein. Das Publikum erlebte das wilde Fragment als Aufbruch, als Ausdruck eines Lebensgefühls.
Dass der Film, wie jeder Anfang, auch ein Ende vorwegnahm, wird nun zum eigentlichen Blues in Aron Nicks wunderbarer Rückblende mit Ausblick. Denn der Fünfundreissigjährige hat die „Giele“ von damals noch einmal vor der Kamera versammelt. Jene von ihnen, die noch da sind.
Zwei sind gestorben, als erster der Bruder von Bernhard, die treibende Kraft hinter dem Tscharniblues. Rückblickend schildern das die Freunde als ein vorschnelles Verglühen. Seine frenetische Aktivität, Drogen und ein psychotischer Schub verkürzten das Leben des Mannes, der in seinen besten Zeiten alle mitgezogen hat.
Aron Nick hat die Männer in einer Wohnung im Tscharnergut versammelt, mit ihnen an Originaldrehplätzen gefilmt und aus den Gesprächen unter ihnen, aber auch mit ihm, Szenen aus dem Tscharniblues und ein paar hinreissenden, spontanen Veräppelungs-Inszenierungen seiner Protagonisten einen Film gebaut, der das Wort Blues im Titel mit Stolz und Würde tragen darf.
Denn Tscharniblues II ist ein leises Fest des Abschieds, der Trauer, des Rückblicks. Aber eben nicht nur. Der Film ist gleichzeitig eine Feier der Freundschaft.
Vor allem aber umkreist er eine vage Idee der Freunde, die sich dabei immer mehr verfestigt: Die Forderung nach einem „Recht zum Scheitern“, die in punkigeren Zeiten noch trotzig wirkte, wird, verknüpft mit der Rückschau und der Frage danach, woran Scheitern zu messen wäre, wieder zum Ausdruck eines hochaktuellen Lebensgefühls.
Dass der Regisseur das weiss, macht er in den ersten Sekunden des Films klar, als er sich selber und seine Generation unter anderem dadurch charakterisiert, dass sie nichts falsch machen wollen – während sein Vater und seine Freunde damals einfach losgelegt hätten…
Tscharniblues II ist kein sentimentaler Rückkommensantrag, kein nostalgischer Film, sondern ein tröstlicher, oft fröhlicher Ausdruck einer Kontinuität der menschlichen Verbundenheit „trotz“ allem.
Und dass kaum Frauen in dem Film auftauchen, macht Aron Nick indirekt auch gleich zum Thema. Der frühe Tod seiner Mutter und der Schmerz des Vaters darüber markiert die Leerstelle und füllt sie zugleich.
Filmpremiere:
Eröffnungsfilm Solothurner Filmtage 24.01.2019, 17:30 Uhr, Reithalle
Öffentliche Vorführung Filmtage:
26.01.2019, 15:00 Uhr, Landhaus Solothurner Filmtage
29.01.2019, 09:30 Uhr, Landhaus Solothurner Filmtage
Spezialvorführungen Filmtage:
„Dr Tscharniblues“ (1979), 29.01.2019, 12:00 Uhr, Canvas Club
„Eine vo Dene“ (1980), 29.01.2019, 12:00 Uhr, Canvas Club
Kinopremiere:
05.04.2019 – 07.04.2019, Kino Rex Bern
Ab dem 11.04.2019 in den Deutschschweizer Kinos.
Für mich ist der Tscharniblues der wahrscheinlich beste Film, den ich jemals gesehen habe: Ungeschminkt, ehrlich, offen! – Danke dafür!