Lauter verlorene Seelen eröffnen die 69. Berlinale: Der Film der dänischen Regisseurin Lone Scherfig (Italian For Beginners, An Education), die auch Geschichte und Drehbuch geschrieben hat, ist eine Art Grossstadtmärchen in New York, in dem der Zufall verschiedene Figuren zueinander bringt – und sie aus ihrer Verlorenheit rettet.
Claire (Zoe Kazan) ist mit ihren zwei Jungen mit dem Auto aus Buffalo nach New York gekommen, auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann.
Zuerst noch voller Tatendrang und Improvisationstalent, rutscht die kleine Familie immer mehr in eine brutale und trostlose Obdachlosigkeit.
Alice (Andrea Riseborough) ist Krankenschwester in der Notaufnahme, einsam und altruistisch. In ihrer freien Zeit hilft sie in einer Suppenküche und leitet eine Selbsthilfegruppe zum Thema «Verzeihen».
John Peter (Jay Baruchel) ist ein schüchterner und unsicherer Anwalt, der viele seiner Fälle verliert, sein Ex-Klient Marc (Tahar Rahim) ist gerade aus dem Gefängnis entlassen und heuert als Manager in einem verschrobenen russischen Restaurant an.
Timofey (Bill Nighy) ist der Besitzer dieses Lokals, er steht kurz davor, es zu verlieren, weil das Essen so sagenhaft schlecht ist, dass die Kunden wegbleiben. Und dann ist da noch Jeff (Caleb Landy Jones), ein junger Mann, dem im Leben einfach gar nichts gelingen will.
Zwei Orte vor allem sind es, an denen sich diese Figuren immer mal wieder begegnen: eine Kirchgemeinde mit Suppenküche und Selbsthilfegruppe und ein russisches Restaurant. Zuerst sind die Begegnungen nur kurz und zufällig, dann werden die Kreise immer enger und die einzelnen Geschichten immer verwobener.
Obwohl Lone Scherfig – sie kommt aus der Dogmabewegung – sowohl mit Kameraarbeit und Bildsprache, als auch mit ihrer Figurenzeichnung ganz nah an der bitterharten Realität der todtraurigen Geschichten ist, liegt so etwas wie ein zauberhafter, poetischer Schleier über dem Film – und die Orte und ihre Figuren bilden ein ganz eigenes Universum.
Es ist kein Zufall, dass eine der Protagonistinnen Alice heisst: das russische Restaurant, in dem sie Stammkundin ist und in dem schliesslich alle zusammenkommen, ist ein Wunderland.
«Ein Liebesfilm» hat Lone Scherfig ihren Film genannt, ein Film nicht nur über die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern zwischen Mutter Kind, Mitarbeitern, ganz Fremden.
Klingt ein bisschen nach Kitsch – aber wie der japanische Regisseur Hirokazu Kore-Eda, an dessen Filme The Kindness of Strangers manchmal erinnert, balanciert auch Lone Scherfig elegant auf diesem Grat zwischen Poesie und Sozialkitsch.
Dabei hilft auch der feine Humor, der diesen Film auch durchzieht und einen immer mal wieder befreit auflachen lässt, wenn es grad mal wieder ganz düster ist um die kleine obdachlose Familie.
Vor allem der britische Schlacks Bill Nighy ist Garant für manches Schmunzeln und Gelächter, wenn er als Enkel russischer Immigranten mit stark russischem Akzent durch den Film stakt.
Überhaupt ein feines und sehr internationales Ensemble hat Scherfig zusammengestellt, mit Zoe Kazan und Caleb Landry Jones (beide USA), Tahar Rahim (Frankreich), Andrea Riseborough und Bill Nighy (beide England) und Jay Baruchel (Kanada).