Cannes 19: BACURAU von Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornelles (Wettbewerb)

Udo Kier in ‚Bacurau‘ © SBS International

Kann ein Ort einfach von der Weltkarte verschwinden? Nun, in Zeiten von GPS und Google Maps ist das mit etwas technischem Aufwand zu machen.

Jedenfalls stellt der Lehrer von Bacurau in Brasiliens Nordosten eines Tages fest, dass das Dorf auf den Satelliten-Bildern nicht mehr existiert. So zeigt er es den Kindern eben auf der guten alten Rollkarte.

Abschied von der Matriarchin © SBS International

Aber nachdem seine Mutter, die Matriarchin des Ortes, vor ein paar Tagen gestorben ist, seine Tochter und viele Verwandte angereist sind für die Beerdigung, beginnen seltsame Dinge zu passieren.

Der Wassertruck, der jeden Tag das Wasser vom Fluss bringen muss, weil der Fluss von korrupten Politikern gestaut worden ist, hat bei der Ankunft drei wasserspeiende Löcher. Er muss unterwegs beschossen worden sein.

Mitten in der Nacht rasen plötzlich die Pferde von einer benachbarten Hacienda durchs Dorf. Die zwei Männer, welche sie zurückbringen, stellen fest, dass die ganze Familie erschossen worden ist. Und bevor sie davon berichten können, trifft sie das gleiche Schicksal.

Ein Ufo, das über  mordenden Motorradfahrern schwebt, entpuppt sich als Drohne. Und hinter dem Ganzen steckt Udo Kier als Michael mit einer Gruppe waffenvernarrter amerikanischer Schiesstouristen.

Nach Kleber Mendonça Filhos strengem, schönen Aquarius von 2016 ist Bacurau eine ziemliche Überraschung. Über Jahre hinweg hat er mit seinem Ausstatter Juliano Dornelles an diesem Drehbuch geschrieben, schliesslich haben sie den irren Genre-Mix gemeinsam gedreht.

Udo Kier (Michael) und Sonia Braga (Domingas) © SBS International

Bacurau ist ein moderner Heimatfilm im Western-Stil, mit Science-Fiction und Gang-Thriller und weiteren Einschlägen. Die Geschichte einer bedrängten Gemeinschaft, die sich schliesslich zu wehren weiss. Brasiliens Gegenwart und Geschichte spielt hinein; Kinofiguren wie die «Cangaçeiros» die Sozial-Banditen des Brasilianischen Genre-Kinos der 50er und 60er Jahre, tauchen in moderner Verkleidung als genderfluide Outlaws wieder auf.

Der Film lässt einem lange im Unklaren über die Richtungen, die er schliesslich einschlagen wird. Die ins Dorf zurückkehrende Teresa trifft stellvertretend für das Publikum auf eine eingespielte, manchmal störrische, manchmal auch verschworene Gemeinschaft, die keine Spur von Hinterwäldlertum an sich hat – eher schon utopische Züge trägt.

Sonia Braga (mit Brille) als Domingas mit den Bewohnern von Bacurau © SBS International

Wenn der Film dann im letzten Drittel zum Thriller mit Western-Showdown wird, wechselt er auch punktuell die Perspektive, plötzlich sind wir mit den Fremden die Gejagten.

Genre-Kino darf fast alles. Aber ein Film, der seine Genre-Anleihen für lange Zeit gekonnt versteckt, macht sein Publikum entsprechend nervös, aufmerksam, dankbar und wachsam. Gerade weil das alles mit fast dokumentarischem Realismus anfängt, kommt der moralische Kompass des Publikums bald ins Rotieren. Ein Effekt, der Bacurau einen grossen Vorteil verschafft.

Silvero Pereiro als Lunga © SBS International

Der Titel ist offenbar der Name eines grossen dämmerungsaktiven Vogels, und damit auch der lokale Ausdruck für den letzten Bus, den man nicht verpassen sollte.

Ein gutes Label für ein faszinierend eigenständiges Stück Kino: Nicht verpassen.

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