Cannes 19: ATLANTIQUE von Mati Diop (Wettbewerb)

Ada (Mame Bineta Sane) © MK2 Distribution

Ada soll den reichen Omar heiraten. Aber sie liebt den armen Suleiman. Suleiman arbeitet in Dakar auf der Baustelle eines riesigen Hotelturms. Allerdings haben er und seine Kollegen seit drei Monaten keinen Lohn mehr bekommen.

Darum steigen sie in der Nacht in eine Piroge und versuchen, nach Spanien zu gelangen. Die Piroge sinkt im Sturm, die jungen Männer ertrinken.

Am Abend der Hochzeit von Ada mit Omar fängt das neue luxuriöse Ehebett in der neuen luxuriösen Wohnung spontan Feuer: Keine Spur von Einbrecher, kein konkretes Zeichen für Brandstiftung. Dafür bekommt Ada am nächsten Morgen eine SMS von Suleiman auf das iPhone, das ihr Omar geschenkt hat.

Und der Geschäftsmann, der die Arbeiter um drei Monate Lohn geprellt hat, erhält Besuch von jungen Frauen mit blinden Augen. Mitten in der Nacht. Niemand weiss, wie sie in seine Wohnung geraten sind. Sie fordern den Lohn.

Was in der Zusammenfassung klingt wie der Plot eines Kurzfilmes, war tatsächlich mal einer. Mati Diop (geboren 1982) ist die Tochter des Sängers Wasis Diop («Toxu») und die Nichte des senegalesischen Filmemachers Djibril Diop Mambéty.

Die Schauspielerin und Filmemacherin ist eine der vier Filmemacherinnen, welche dieses Jahr den Frauenanteil im Wettbewerb von Cannes bestreiten. Aber auch wenn Festivalleiter Thierry Fremaux immer wieder betont, Filme würden einzig auf Grund ihrer Qualität ausgewählt, weckt Atlantique da wieder Zweifel.

Das ist ein Film mit eben so vielen Qualitäten wie Schwächen. Ein unbeholfenes Drehbuch wird von teilweise ebenso unbeholfenen Schauspielerinnen und Schauspielern umgesetzt. Viele Details wirken fast herablassend lächerlich. Etwa, dass ein Starpolizist vom Kommissar auf einen Matratzenbrand angesetzt wird. Oder dass der korrupte Geschäftsmann schliesslich vor lauter Angst mit 32 Millionen auf den Friedhof geht, um sich von den Geistern seiner indirekten Opfer freizukaufen.

Anderes mag realistisch sein, etwa der Umgang der Freundinnen von Ada mit den Möglichkeiten des glamouröseren Lebens, die Blindheit ihrer Eltern für die Wünsche der Tochter, die irren Kontraste zwischen Mega-City Ambitionen und extremer Armut.

Aber wenn Mati Diop, die ambitioniert auf Wolof gedreht hat, meint, sie habe mit diesem Film ihre Wurzeln im Senegal wieder gefunden, sie, die in Frankreich aufgewachsen ist, dann kommen doch Zweifel auf.

Die Mischung von Parabel und Aberglauben, von Korruption und Naivität mit der Realität jener, die im Mittelmeer ertrinken auf der Suche nach einem anderen Leben hat bekommt etwas blasiertes in der Perspektive dieser jungen Frau, deren Liebe den Tod überwindet – vielleicht. Denn so ganz genau weiss man es am Ende des Films nicht. Auch wenn klar wird, dass der Polizist dem Geist von Suleiman offenbar unfreiwillig seinen Körper geliehen hat, für eine letzte, geisterhafte Hochzeitsnacht.

Der Film ist mit Aufwand produziert und mit viel Musik unterlegt. Nicht immer sehr subtil. Mehrfach kommen sich Score und Gesang der Figuren im Film massiv in die Quere, manchmal ist der Bildschnitt so abrupt wie der des Tons. Und im Zweifelsfalls dienen Einstellungen auf den Sonnenuntergang und Meereswellen als Cutaway für nicht ganz aufgelöste Szenen.

Aus Sicht der Produzenten und wohl auch der Festivalverantwortlichen von Cannes entwirft dieser Film ein eigenständiges, weiblich geprägtes Bild vom Leben der senegalesischen Jugend und ihren Träumen und Hoffnungslosigkeiten. Vielleicht trifft das ja zu. Hoffentlich nicht.

Es ist nicht völlig auszuschliessen, dass mich die berüchtigte punktuelle Cannes-Überreizung in meinem Urteil über Atlantique etwas zu harsch werden lässt. Aber der Kurzfilm hätte mir gereicht.

 

Kommentar verfassen