In Erinnerung geblieben ist der Rumäne Porumboiu vor allem mit Police, Adjective von 2009. Da stellte der junge Polizist Cristi fest, dass es allenfalls nicht sehr sinnvoll ist, kiffende Schüler zu verhaften.
Es ist sicher kein Zufall, dass der desillusionierte, korrupte Polizist in Porumboius aktuellem Cannes-Film wieder Cristi heisst.
Gespielt wird er von der Allzweckwaffe des rumänischen Kinos, dem unverwüstlichen Vlad Ivanov, der auch 2009 schon dabei war und 2007 in Cristian Mungius 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage als Abtreibungsarzt zum ersten Mal über Rumänien hinaus bekannt wurde.
Dieser Cristi kommt zu Beginn des Films auf der Kanaren-Insel La Gomera an und wird von Antonio Buíl in Empfang genommen. Der nimmt ihm gleich einmal das Mobiltelefon ab. Die Polizei tracke das alles…
Cristi ist kein Urlauber, das wird schnell klar. Der Kriminalpolizist aus Bukarest ist mit einem Auftrag gekommen. Er soll für den mafiösen Paco den verhafteten Matratzenfabrikanten Zsolt aus dem Gefängnis holen. Denn Zsolt hat einige Millionen für Paco gewaschenes Geld versteckt. Dass Cristi mit Paco und damit auch mit Zsolt längt unter eine Decke steckt, erfahren wir etwas später.
Wir erfahren das im zweiten Kapitel, mit dem Zwischentitel «Gilda». Auch das ein sprechender Name, denn Gilda (Catrinel Marlon) ist die klassische Femme fatale des Film noir. Wie ihr Namensvorbild ist sie eine Frau, die eine Frau spielt, welche zu betören weiss.
Schon in der nächsten Rückblende erfahren wir nämlich, wie sich die Frau, die ihn in der Villa auf La Gomera empfängt, in Bukarest als Edel-Callgirl ausgegeben hatte und mit Cristi in dessen kameraüberwachter Wohnung wilden Sex hatte – für die Augen der Polizei.
Der Plot um die gewaschenen, verschwundenen Millionen ist so nebensächlich wie die Backstory der meisten Figuren. Porumboiu nutzt die Anlage, um über den Film noir und das einschlägige Kino zu riffen.
Ausgegangen ist er ohnehin von der uralten kanarischen Pfeifsprache, um die herum er seinen Film konstruiert. Denn Cristi ist genau aus dem Grund nach Gomera beordert worden, um hier diese Fernverständigungsmethode zu lernen. Auf dass die Entführung Zsolts aus dem rumänischen Gefängnis jenseits der allzeit überwachten Kommunikationskanäle koordiniert werden kann.
So schauen wir denn auch eine Weile dem stoischen Vlad Ivanov dabei zu, wie er als Cristi ohne den leisesten Anflug von Verlegenheit oder Ironie Ton für Ton die Pfeifsprache lernt, instruiert von Gilda und dem von Antonio Buíl gespielten Handlanger.
Der Film ist verschachtelt, er spielt auf La Gomera und in Rückblenden, die jeweils den Namen einer der Figuren tragen. Später dann auch wieder in der Gegenwart von Bukarest, wo zwei weitere Frauen das Leben von Cristi bestimmen.
Seine gläubige, strenge Mutter, die das im Keller versteckte Bestechungsgeld ihres Sohnes hauruck der Kirche spendet und den Sohn zwingt, zur Beichte zu gehen.
Und Cristis Chefin Magda, eiskalt, berechnend und durchtrieben. Zwischen diesen drei Frauen bewegt sich der Polizist, stets der Illusion verpflichtet, er habe sein Leben im Griff.
Auch wenn die Geschichte um die Millionen und die Korruption durchaus Spannung aufkommen lässt: Die Seele des Films ist seine Liebe zum einschlägigen Kino, das Spiel mit den Genre-Konventionen und den Kontrasten.
Da treffen sich Cristi und Magda schon mal konspirativ in der Cinémathèque, wo ein John Wayne Western läuft. Nach dem Informationsaustausch schickt ihn die Frau weg, selber will sie noch den Film fertig sehen.
Das grosse Shootout des vorläufigen Showdowns spielt auf einem verlassenen Filmset und überhaupt spielt die Kinogeschichte immer wieder mit.
La Gomera hat durchaus zeitgeistig relevante Aspekte. Allein schon die Idee, mit Hilfe eines öffentlichen, aber für Uneingeweihte nicht entzifferbaren Kommunikationskanals die allgegenwärtige Überwachung im öffentlichen Raum zu unterlaufen, hat ihren Reiz.
Auch der Mann, dessen Leben von drei starken Frauen gesteuert und geleitet wird, ist ein höchst gegenwärtiger Entwurf.
Aber der Film hält sich nicht mit seinen Tiefenbohrungen auf, eben so wenig wie mit seinen vielen Meta-Spielereien. Zelebriert wird das Genre-Kino mit seinen Typen, bis zum apokalyptisch kitschigen Schluss, der den Wunschtraum noch des sentimentalsten Hardboiled-Fans ironisch erfüllt.
Die filmische Raumaufteilung, die Musik, die von Kapitel zu Kapitel, bzw. von Figur zu Figur wechselnde Farbpalette, das alles spielt mit vielen Jahren Filmgeschichte.
La Gomera heisst auf Englisch The Whistlers. Auch dieser Titel evoziert Genre-Klassiker. Wie gut dieser Film altern wird, ist derzeit noch nicht auszumachen. Aber in der Gegenwart macht er Spass, mit seinem zynischen Grundton, seiner Lakonie und Ironie.
Der Film wurde in Cannes für die Schweiz von der Zürcher filmcoopi gekauft und wird wohl im Herbst/Winter 2019/20 ins Kino kommen.