Das Familientreffen, aus welchem Anlass auch immer, bildet ein eigenes Kinogenre. Ob für Hochzeit, Beerdigung, Thanksgiving oder Klassenzusammenkunft: Wir haben es immer mit einer Gruppe von losen Individuen zu tun, deren Beziehungsgeflecht untereinander nach und nach aufgedeckt wird und sich verändert.
Für seine aktuelle Variation des Konzepts hat Ira Sachs (Love is Strange 2014, Little Men 2016) eine beeindruckende Besetzung und einen mindestens so beeindruckenden Drehort kombiniert.
Isabelle Huppert spielt den französischen Filmstar Françoise Crémont, genannt Frankie. Ihr Krebs ist wieder ausgebrochen, sie hat noch wenige Monate zu leben und darum lädt sie ihre Familie nach Portugal in die Ferien ein, nach Sintra.
Es ist eine komplizierte Familie. Da ist ihr dritter Mann Jimmy (Brendan Gleeson), ihr erster Ex Michel (Pascal Greggory), Paul (Jérémie Renier), der Sohn von Frankie und Michel, Sylvia (Vinette Robinson), Jimmys Tochter aus einer früheren Ehe, ihr Mann Ian (Ariyon Bakare) und Mayah, die Tochter der beiden. Dazu kommt Marisa Tomei als Ilene, Maskenbildnerin und Freundin von Frankie aus New York, und deren aktueller Freund, der von Gregg Kinnear gespielte Gary, der eben für George Lucas als DP second unit in Spanien einen Star Wars Film dreht, bei dem Ilene die Haare macht.
Das führt auch zu einem der ersten hübschen Gags im Film: Als Ilene Jimmy an einer Ecke erkennt und anspricht und erklärt, warum sie überhaupt in der Gegend ist, fragt der, ob denn nun Chewbacca einen neuen Look bekomme?
Es ist durchaus vergnüglich und hin und wieder auch berührend, diesem hochkarätigen Ensemble dabei zuzusehen, wie sie die Leben ihrer Figuren langsam aufblättern – stets mit Frankie als Gravitationszentrum.
Isabelle Huppert spielt gewohnt souverän und mit minimaler Gestik. Ihrer Frankie haftet eine entschlossene Entrückung an, als ob sie schon daran wäre, sich von allem zu entfernen. Und so wird sie auch gefilmt.
Gegen Ende des Tages – der ganze Film spielt vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag eines einzigen Tages – treffen sich alle auf dem Peninha, dem Höhenzug von Sintra mit Blick auf den Horizont. Und in einer Einstellung merken wir, dass Michel, Frankies erster Mann, sie schon länger mit dem Feldstecher beobachtet. Als ob er ihr beim Verschwinden zusehen würde.
Frankie ist ein Midsummernight’s Tagtraum, ein Wechselreigen mit Auslegeordnung, Michel, so stellt sich heraus, verdankt Frankie sein grösstes Unglück (dass sie ihn verlassen hat) und sein grösstes Glück (dass sie ihn verlassen hat und er endlich zu seiner Homosexualität stehen konnte und seinen Thierry traf).
Sylvia will sich von Ian trennen, Frankie möchte Paul mit Ilene verkuppeln, der wiederum Gary einen Antrag macht. Und die junge Sylvia flüchtet derweil über Mittag an den Strand, wo sie mit einem gleichaltrigen Einheimischen anbandelt.
Isabelle Huppert wird von Brendan Gleeson eben so perfekt konstrastiert und ergänzt, wie Marisa Tomei von Gregg Kinnear. Briten, Iren, Amerikaner und Franzosen in Portugal: Die alte Welt des Westens in einer Art Abendblüte in dem Land, von dem die ersten grossen Kolonialeroberungen ausgegangen sind: Man könnte viel in diesen kleinen Film hineinlesen.
Aber im Kern erzählt er einfach von Menschen und ihren Nöten, mitten im Paradies. Das ist nicht viel, aber auch nicht einfach nichts.