NIFFF 19: LE DAIM von Quentin Dupieux

Jean Dujardin, Adèle Haenel © Praesens

«Voilà la bête!» sagt der Alte stolz. Hier ist das Biest! Es ist eine Wildleder-Jacke mit Fransen, 60ies-Style, 100% daim – durch und durch Hirschleder.

Georges (Jean Dujardin), hat die Kleinanzeige gelesen, ist ins Auto gestiegen und losgefahren. Unterwegs hat er das Konto seiner Frau geplündert und an einer Autobahnraststätte seinen Kittel in die Toilettenschüssel gestampft.

Jean Dujardin © Praesens

Georges ist hin und weg. Dass die Hirschlederjacke etwas zu kurz ist für seinen soliden Körper fällt ihm nicht auf. Er blättert dem Alten bereitwillig etwas über 7000 Euro auf die Hand und bekommt noch einen digitalen Camcorder als Dreingabe.

Vor fast zehn Jahren hat Quentin Dupieux mit Rubber seine verblüffende Reduktion des Genrekinos zum ersten Mal vorgeführt. Der in der Wüste zum Leben erwachende Killer-Pneu war pures Prinzip, die konsequente Reduktion jener Projektionen, welche im Kino ihre Wirkung entfalten.

Während in Rubber der Reifen sein mörderisches Wesen autonom umsetzte, benutzt Le daim nun die Faszination, die vom Objekt ausgeht und schaltet mit Georges einen Träger dazwischen.

Jean Dujardin © Praesens

«Le style malade!» ruft Georges, kaum sieht er sein Spiegelbild mit der fransenbehangenen Wildlederjacke. Seine Begeisterung kennt keine Grenzen und er beginnt, mit der Jacke zu reden, «le daim» ist sein neuer Freund. Oder sein neuer Gott? Denn die Jacke erklärt, ihr Traum sei es, die einzige Jacke auf der Welt zu sein – natürlich kommt dieser Satz von Georges, der auf seinem schäbigen Hotelbett liegt.

Weil Georges aber kein Geld mehr hat, gibt er sich einer filmbegeisterten Bardame (Adèle Haenel) gegenüber als Filmemacher aus und die, eine begeisterte Hobby-Cutterin, finanziert ihm die nächsten Videokassetten für seinen Camcorder.

Jean Dujardin, Adèle Haenel © Praesens

Nun filmt Georges alle möglichen Leute, die er für ein paar Euro dazu bringt, ihre Jacken in seinen Kofferaum zu packen und dazu die feierliche Erklärung abzugeben, sie würden nie wieder eine Jacke tragen. Weil er anschliessend mit den Jacken davonbraust, findet sich allerdings bald niemand mehr, der sich auf die Filmaufnahmen einlassen würde.

Georges greift zu drastischeren Mitteln, und filmt weiter, um Denise mit Schnittmaterial zu versorgen, damit sie ihm wiederum die Mittel für seinen Feldzug gegen Jacken zuschiesst.

Le daim ist die Geschichte einer Obsession.

Nach wie vor reduziert Dupieux die Mechanismen des Genrekinos auf das Wesentliche. Aber mit diesem Film spiegelt er sie sowohl im Film wie auch mit dem Film.

Georges findet mit dem Anziehen der Wildlederjacke eine neue Persönlichkeit, sie wirkt auf ihn wie eine drastische Maske. Das neue Selbstbild übernimmt die Kontrolle.

Adèle Haenel © Praesens

Denise ihrerseits ist besessen von den Möglichkeiten des Films. Sie, die sich etwa damit vergnügte, Quentin Tarantinos Pulp Fiction umzuschneiden und chronologisch zu ordnen (mit, wie sie selber sagt, verblüffend banalem Resultat), hat nicht die geringste Neigung, die immer drastischeren und blutigeren Filmsequenzen, die Georges ihr bringt, für etwas anderes zu nehmen als manipulierbare Fiktion.

Damit kann ich arbeiten, erklärt sie, und übernimmt die Produktion des Films, der für Georges nie etwas anderes war als Mittel zum Zweck: Jackenreduktion.

Das Wunderbare an Le daim ist, wie schon bei Rubber, dass man diese reduzierten Konstellationen und Mechanismen beliebig interpretieren kann. Das ist wahlweise ein Film über Obsessionen, über Passion, über die Wirkungsweise des Kinos oder über die Möglichkeiten, sich über das Selbstbild zu verwandeln.

Der Film hat das NIFFF eröffnet und
läuft in der Westschweiz ab sofort im Kino.

Start Deutschschweiz: 8. August 

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