Eingeschneit im Ferienhaus in den Bergen versucht Grace, das Vertrauen der beiden Kinder ihres neuen Partners zu gewinnen. Aber über allem schwebt die Präsenz der toten Mutter der zwei.
Sie lächelt aus jedem schmerzvollen Madonnenbild, lauert hinter dem Kruzifix im Schlafzimmer, und als Grace zum Schlittschuhlaufen eine rote Wollmütze vom Garderobeständer nimmt, schreit die kleine Mia empört auf: «Die gehört Mama!»
Die Aufgabe, nach einer Kampfscheidung das Vertrauen der Kinder eines neuen Partners zu gewinnen, kann alptraumhafte Züge annehmen. Der oder die Neue ist nicht nur ein Eindringling, sondern trägt für die Kinder oft gar die Schuld am Zerbrechen ihrer Familie.
Die offene Feindseligkeit, welche Aidan und seine kleine Schwester Mia gegenüber Grace (Riley Keogh) an den Tag legen, ist für diese Herausforderung genug, um all ihre Hoffnungen in die Weihnachtstage in der abgelegenen Hütte zu stecken. Beim Spielen im Schnee und beim Dekorieren des Wohnzimmers hofft die junge Frau, den Kindern von Richard (Richard Armitage) wenigsten ein bisschen näher zu kommen. Schliesslich wollen sie und Richard demnächst heiraten.
Aber Richard muss noch einmal für ein paar Tage in die sechs Stunden entfernte Stadt zurück, Grace, Aidan und Mia bleiben allein im eingeschneiten Haus.
Wie schon mit ihrem aufsehenerregenden Debut Ich seh ich seh von 2014 setzen die beiden Österreicher Veronika Franz und Severin Fiala auch bei ihrem ersten englischsprachigen Film auf psychologischen Horror.
Waren es vor fünf Jahren Zwillingsbrüder, welche ihre Mutter nach einer Gesichtsoperation nicht mehr erkannten, sind es diesmal eben die Geschwister, welche ihre tote Mutter nicht loslassen wollen, und die neue Frau im Leben des Vaters erbittert ablehnen.
The Lodge ist einmal mehr ein realistischer Horrorthriller. Franz und Fiala nutzen geschickt die Versatzstücke aus 100 Jahren Kino, eine geheimnisvolle Puppenstube als Planorakel, Heiligenbilder und Kruzifixe als pervertierte Schreckenssymbole, Einbrechen ins Eis, Traumsequenzen, Nachtwandeln, seltsame Schritte auf knarrendem Boden…
Aber der eigentliche Thrill besteht darin, dass wie nie genau wissen, wer wem Übel will. Inszenieren die Kinder die kleinen Unfälle, um die ungewollte Frau zu vertreiben? Hat sie, die als einzige Überlebende einer Suizid-Sekte ohnehin mit ihrer Vergangenheit kämpft, vielleicht noch andere Seiten?
Riley Keough, besonders aufgefallen in Andrea Arnolds American Honey, ist wunderbar in dieser ambivalenten Rolle. Und die beiden Kinder, Jaeden Martel und Lia McHugh, ebenfalls.
Kinder sind ja von je her die furchteinflössendsten Schreckensbilder des Kinos, seien es nun die bezopften Zwillingsmädchen in Kubricks The Shining oder die diversen lächelnden Satansbraten in der Omen-Reihe: Ihre pervertierte Unschuld lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Weil wir gerade da keine Verteidigungsmechanismen haben.
The Lodge ist eine internationalisierte Variation auf Ich seh ich seh, thematisch ähnlich gelagert, im realistischen psychologischen Setting gleich hinterfüttert, aber weniger radikal, deutlicher dem Genrekino verpflichtet.
Was wiederum ganz gut passt, wenn man sieht, dass dieser Film zum neuen Line-Up der guten alten britischen Hammer-Productions gehört, jenem Filmhaus, das ab den 1930er Jahren am Fliessband die meisten Horror-Trends zeitgeistig und billig verwertet hat. Seit der Übernahme des Labels durch den Niederländer John De Mol gab es schon diverse Anläufe zur Reanimation.
The Lodge ist da ein schöner Schritt in die richtige Richtung.
Die Rechte an The Lodge liegen für die Schweiz
bei Ascot-Elite, ein Kinostart ist noch nicht festgelegt.