Locarno 19: DOUZE MILLE von Nadège Trebal (Wettbewerb)

Frank tanzt © Mezzanine Films

So radikal anders hat noch kaum jemand sexuelle Anziehung, ökonomische Abhängigkeit und die Verhandlung der persönlichen moralischen Basis in Szene gesetzt wie hier Nadège Trebal.

Frank (Arieh Worthalter) ist ein anziehender Mann, ein animalisches Charmbündel – und eine fast schon mythische Kunstfigur, welche sich Nadège Trebal hier erfunden hat. Sie spielt selber die Frau, die ihn ergänzt und herausfordert, Maroussia, Mutter dreier Kinder.

Frank (Arieh Worthalter) und Maroussia (Nadège Trebal) © Mezzanine Films

Frank hat eben seinen Job als Schwarzarbeiter auf einem Schrottplatz verloren und fühlt sich ausserstande, als Schmarotzer bei Maroussia zu bleiben. Er will erst wieder kommen, wenn er so viel verdient hat, wie sie in einem Jahr: 12‘000 Euro.

Das ist eine Schreib- und Spielanlage. Sally Potter hat sich mit The Tango Lesson 1997 eine ähnliche Konstruktion auf den Leib und die Leidenschaft geschrieben; Jacques Demy hat mit seinen eigenwilligen Singfilmen wie Les demoiselles de Rochefort (1967) versucht, Lieder zu Vehikeln von Traumausdrücken zu machen.

Nadège Trebal setzt auf einen vergleichbaren Ausdruck: Ihr Frank kann tanzen, nicht einfach wie ein guter Tänzer, sondern wie ein Star – auch wenn er mit seinen stummen, musiklosen Tänzen meist nur eine Parodie vorgibt. Wenn er mit Maroussia tanzt – immer noch ohne Musik – dann sind da zwei Körper im Einklag, in einem gemeinsamen Akt.

Aber es ist nicht nur die verquere (oder unverstellte) Erotik, welche diese Filmkonstruktion treibt. Es kommen paradoxe Reaktionen dazu, urkomische verbale Verhandlungen über die Selbstverdingung, die Ausbeutung durch das System und den Widerstand, bzw. die Verweigerung.

Frank hat nicht nur etwas von einem Seemann, er unterhält sich auch mit den malaysischen Seeleuten von den Frachtschiffen, er spricht fliessend portugiesisch, er kennt jeden Trick, er ist ein Trickster, Huckster, Hustler und ein grosses Kind, ein jungenhafter Mann, ein Traum-Mann – und den Frauen immer einen Gedanken hinten nach. Auch wenn er sie besser versteht, als die meisten anderen Männer.

So lässt er sich von einem jungen Kollegen dazu anstellen, dessen Mutter die Studiengebühren zurückzuzahlen, welche diese partout nicht annehmen will: Sie hat mit ihrem Sohn gebrochen, als der sein Studium abbrach. Franks Versuch, der Frau das Geld und sich selber schmackhaft zu machen, wird von ihr dermassen ironisch und souverän vereitelt, der er sich wie der sprichwörtliche geprügelte Hund davon macht.

Und ähnlich wirkt er dann auch wieder, als er nach langer Zeit nicht mit 12‘000 Euro, sondern mit fast der dopplten Summe bei Maroussia auftaucht. Er findet ganz klar, mehr sei besser. Sie kocht vor Wut, dass er sie für Geld länger hat warten lassen als nötig – und wirft ihn raus.

Alles weg. Alles gut. Frank (Arieh Worthalter) © Mezzanine Films

Douze mille ist ein enorm eigenwilliger Film, der sich zugleich im Mythen- und Figurenkorb des Kinos leichthändig bedient. Tanz ohne Musik, Sex nicht ohne Liebe, Anziehung als Kräftemessen und dazu die ganzen ökonomischen Mechanismen, welche hin und wieder mit passendem Jargon ad absurdum geführt werden.

Es ist lange her, seit das französische Kino so provozierend und selbstbewusst neu wirkte. Vielleicht 1974, als Bertrand Blier Gérard Depardieu, Patrick Dewaere und Mioumiou in Les valseuses auf die Bourgeoisie losliess. Aber das waren Männerphantasien.

Jetzt ist eine Frau der Souverän dieses Leinwandtraums. Und sie spielt anders auf den Mann.

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