Locarno 19: TECHNOBOSS von João Nicolau (Wettbewerb)

Américo Silva und Miguel Lobo Antunes © Matchfactory

Singen geht wieder im Kino. Und wie! Dabei ist der Hauptdarsteller dieses hinreissenden Hybriden weder Sänger noch Schauspieler. Miguel Lobo Antunes war in seinem Leben vor allem Kulturmanager, eine Zeit lang war er gar Chef des portugiesischen Film Institutes.

Jetzt aber, mit 72, ist Lobo Antunes das Charmbündel Luís Rovisco, Partner, Chefingenieur und vor allem Meisterverkäufer von SegurVale – Integrated Systems of Access Control – einer Firma für Zugansgkontrollen und Überwachungssysteme.

Luís Rovisco (Miguel Lobo Antunes) © Matchfactory

Was er, deutlich über sechzig, an technischer Gewandtheit bei der Installation der komplexen Systeme nicht mehr ganz drauf hat, kaschiert er grossartig mit seiner Ruhe, Erfahrung und seinem Talent, den Kunden immer noch ein halbes Dutzend Kameras oder Barrieren zusätzlich zu verkaufen.

Das weiss auch sein Chef Peter Vale, den wie nie zu sehen kriegen, der aber immer wieder am Telefon auftaucht und Luís seinen Knieschmerzen zum Trotz zum Golf einlädt. Dass er seinen langjährigen Spitzenverkäufer und Freund auch immer wieder hinhält oder herausfordert, führt zu einem der schönen Refrains in diesem Film: «Damn you, Peter Vale!»

Der Satz kommt einem schon beim ersten Hören extrem bekannt vor, im Gegensatz zu den vielen Liedern, welche Luís vor allem beim Fahren in seinem Auto anstimmt. Zuerst diskret und fast acapella solo. Später zunehmende komplex und stilistisch immer moderner.

Bis schliesslich sogar eine Metal-Band mit ihm Auto sitzt – die aber witzigerweise musikalisch nicht zum Zug kommt.

Miguel Lobo Antunes als Luís Rovisco mit den Metalheads © Matchfactory

Das mag ein Film sein über einen Mann, dem das Alter seine innere Jugendlichkeit streitig macht, das Knie, das Gedächtnis, die tote Katze: Unbill im Alltag. Eben so wie die deutlichen Hinweise der Kollegen, die Montage vielleicht einem jüngeren zu überlassen, der sich mit den komplexen Systemen weniger schwer tut.

© Matchfactory

Aber Regisseur João Nicolau vermeidet fast alles, was seinen Film erwartbar machen würde. Er hat sich ein paar Paradoxe zum Leitfaden gemacht. Er wollte einen Film machen, in dem viel gesungen wird, aber kein Musical. Keinen läppischen Film und kein läppisches Musical, aber doch eine Liebesgeschichte mit Gesang.

Er wollte kein Road-Movie machen, aber einen Film, in dem die Hauptfigur viel Zeit im Auto verbringt. Das löst er unter anderem dadurch, dass manche der vielen redundanten Autofahrten im Stand zwischen vorbeirollenden, hübsch gemalten Hintergründen gedreht wurden.

Das schönste Dilemma aber stellt sich der Hauptfigur, als er in einem Luxushotel am Empfang auf eine einstige Geliebte trifft, die ihn nicht in bester Erinnerung hat – zumindest die damalige Trennung nicht. Um sie jetzt wieder zu umwerben, muss er sich selber sabotieren, die Installationen im Hotel so ausführen, dass er einen Grund hat wieder zu kommen. Und dabei wird er von ihr unterlaufen, und von seinen Kollegen, die versuchen, ihn von der Front abzuziehen.

Miguel Lobo Antunes, Luísa Cruz © Matchfactory

Technoboss ist ein ziemlich hinreissendes Spiel gegen filmische Konventionen, auch wenn der Film wie jeder Film davon lebt, dass wir so viele von ihnen gesehen haben, die Mechanismen kennen, die Figurenklischees. So kann damit gebastelt werden, mit den Banalitäten des Alltages, die durch einen einfachen, gesungenen Text zu metaphorischer Grösse anschwellen.

Oder in komische Abgründe versinken, wenn sich Luís und sein Büro-Rivale Texeira während einer Autofahrt wütend gegenseitig die Meinung singen.

Filmisch ist das mit einfachsten Mitteln gemacht. Letztlich kommt das Leben und der Charme von Technoboss zum allergrössten Teil vom Hauptdarsteller. Miguel Lobo Antunes verleiht seinem Luís Rovisco einen melancholischen Charme, einen trotzigen Lebenshunger, einen Schalk und eine Musikalität, die sich nicht einfach herstellen lassen.

Technoboss ist so etwas wie ein lässig hingeworfenes kleines Gesamtkunstwerk ohne den geringsten Grössenwahn. Ein Film, der – wie seine Hauptfigur – vor allem genau weiss, was er alles nicht will. Und das zu vermeiden versteht. Ein ganz grosses, herzliches Vergnügen!

Miguel Lobo Antunes mit der Ersatzkatze © Matchfactory

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