Locarno 19: TERMINAL SUD von Rabah Ameur-Zaïmeche (Wettbewerb)

© Potemkine Films

Zeit und Ort sind nicht genau markiert in diesem Film. Er spielt am Mittelmeer, möglicherweise in Algerien. Arabisch wird gesprochen und Französisch. Es gibt auch Szenen, die eher auf Frankreich hindeuten.

Der Regisseur, zuletzt 2011 mit Le chant du Mandrin in Locarno, ist auch der Busfahrer, der zu Beginn seinen kleinen Transporter durch eine hügelige Landschaft steuert. Die meisten Passagiere schlafen, bis hinter einer Kurve eine Strassensperre auftaucht. Uniformierte mit Maschinenpistolen zwingen die Leute auszusteigen, nehmen ihnen die Habseligkeiten ab und entführen einen jungen Soldaten.

In der nächsten Szene sehen wir Rabah Ameur-Zaïmeche als Fahrer, der auf der Redaktion einer lokalen Zeitung meldet, dass das so nicht mehr weitergehen könne, mit all diesen Fake-Kontrollposten. Die Polizei unternehme nichts, da sei es an den Medien, das Chaos endlich publik zu machen.

Nun, er tut es selber, mit diesem Film. So wie er den kleinen Bus gesteuert hat, so wie er Medienmeldung erstattet hat. Anonymisiert, ent-ortet, unverzeitet.

Ramzy Bedia © Potemkine Films

Nun folgt der Film einem von Ramzy Bedia verkörperten Spital-Arzt. Tagtäglich flickt er Menschen zusammen, die angeschossen wurden, gefoltert, verletzt. Oder die unter der Last des chaotischen Lebens krank geworden sind, Alkoholiker, wie er selber.

Es ist ein kafkaeskes Szenario, das dieser Film vor uns ausbreitet. Der Schwager des Arztes wird vor seiner Wohnungstür erschossen. Wenn der Doktor das Spital verlässt, wird er von schwerbewaffneten Polizisten kontrolliert, wenn er hinein will ebenfalls.

Amel Brahim-Djelloul, Ramzy Bedia © Potemkine Films

Zuhause findet er Drohbriefe, im Spital versteckte Warnungen. Vom Balkon aus beobachtet er, wie die Polizei einen Nachbarsjungen abholt. Seine Frau will weg, erträgt seinen Alkoholismus und seinen Drogenkonsum nicht mehr, nach dem Mord an ihrem Bruder.

Und eines Tages wird der Arzt von bewaffneten Männern entführt, um in einem Feldlazarett einen angeschossenen Offizier zu operieren. Er fragt nicht nach, wird mit verbundenen Augen hin- und danach wieder zurückgefahren.

Und dann verhaftet ihn die Polizei im Spital. Er wird gefoltert, nach der Identität des verarzteten Mannes gefragt, verwarnt und blutend und bewusstlos auf einen Müllhaufen geworfen.

Amel Brahim-Djelloul © Potemkine Films

Rabah Ameur-Zaïmeche baut langsam und stetig eine Stimmung der totalen Verunsicherung auf, das Bild von einem Leben in einer Gesellschaft, in der kaum mehr ein Unterschied herrscht zwischen Staatsgewalt und jeder anderen Form von Gewalt.

Dazwischen sind einzelne kleine Momente der Trauer, solche voller Komik, und vor allem hin und wieder Momente der Solidarität zwischen einzelnen Menschen, die sich schon längst nicht mehr auf ein Kollektiv verlassen können.

Ramzy Bedia © Potemkine Films

Dennoch fragt man sich, was diese Verallgemeinerung von Verunsicherung, von Terror, von Horror beabsichtigt. Die Absenz klarer Verortungen erschwert die gewohnte Distanzierung, die Szenen wirken tatsächlich zunehmend direkt und unmittelbar.

Die Folterung des Arztes wird nicht wirklich gezeigt, aber sie lässt an Deutlichkeit nichts offen. Man fühlt sich fast schon wie auf Kafkas Maschine in der Strafkolonie. Allein gelassen mit all den Fragen.

Bis die letzten fünf Minuten unmissverständlich klar machen, was wir da sehen, warum uns diese so allgemein gehaltenen Szenen ganz direkt betreffen.

Und ich zumindest fühle mich jetzt noch wie ein Idiot, weil ich so lange gebraucht habe, bis ich endlich verstand.

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