Locarno 19: THE LAST BLACK MAN IN SAN FRANCISCO von Joe Talbot (Wettbewerb)

Jimmie Fails und Mont (Jonathan Majors) und © A24 Films

Dieser Film ist eine neue Erfahrung. Der spielt in San Francisco und das nicht nur klar deklariert, sondern für alle, welche die Stadt auch nur ein bisschen kennen, eindeutig. So eindeutig, dass die Figuren nirgendwo sonst so erfunden worden wären. So sie überhaupt erfunden sind.

Und gleichzeitig ist dieser Blick so ungewohnt, so eigen, dass man sich an die ersten Filme aus Island erinnert fühlt. Einfach, weil da Menschen agieren, die man zunächst nicht begreift.

Montgomery Allen (Jonathan Majors) und Jimmie Fails © A24 Films

Jimmie Fails, die Hauptfigur, lebt bei seinem besten Freund Montgomery (Jonathan Majors) und dessen blinden Grossvater (Danny Glover), schläft auf einer Matratze im ohnehin schon engen Zimmer von Mont. Zumindest, bis er wieder wo anders unterkommt.

Grandpa Allen (Danny Glover) und Mont (Jonathan Majors) © A24 Films

Jimmie hat auch schon eine Weile in einem alten Auto gelebt, mit seinem Vater, der nun in einer Sozialwohnung untergebracht ist.

Jimmie Fails – lookin‘ in © A24 Films

Jimmie träumt von dem alten viktorianischen Haus im Fillmore-District, an das er glückliche Kindheitserinnerungen hat. Das soll sein Grossvater nach dem zweiten Weltkrieg gebaut haben, als er aus den Südstaaten nach San Francisco kam.

Das Haus ist eines jener Schmuckstücke aus Holz, ziseliert, laubgesägelt, mit einem Türmchen mit Witch’s Hat-Rundgiebel. Eben eines jener Häuser, den «painted ladies» wie sie im 19. Jahrhundert in San Francisco gebaut wurden, wie sie zu tausenden dem Erdbeben von 1906 zum Opfer fielen. Und wie sie heute zu Millionenpreisen gehandelt werden.

Street Preacher Man © A24 Films

Jimmie fährt immer wieder bei dem Haus vorbei. Er renoviert und malt, jätet im Gärtchen – zum grossen Ärger der aktuellen weissen Bewohnerin, die ihn mit Croissants bewirft, als sie ihn wieder einmal dabei erwischt, wie er einem Fenstersims von aussen einen neuen Anstrich gibt.

Montgomery Allen (Jonathan Majors) und Jimmie Fails © A24 Films

Mont unterstützt seinen Freund zögerlich, steht Schmiere bei den Aktionen, bis die beiden eines Tages auf einen Zügelwagen treffen vor dem Haus und die Bewohnerin weinend davonziehen sehen. Ihre Mutter ist gestorben und die Geschwister können sich wie so oft nicht über die Erbteilung einigen, womit das Haus auf den ohnehin völlig überheizten Markt kommt.

Jimmie beschliesst zu handeln, bricht die Tür auf und zieht ein. Die alten Möbel der Familie kann er bei seiner Tante in einem Vorort holen, die hat alles eingelagert, als Jimmies Vater seinerzeit das Haus verlor.

James sr. (Rob Morgan) und Jimmie Fails © A24 Films

Das ist die Kerngeschichte dieses Films und es ist eine Geschichte, die Jimmy Fails seinem Jugendfreund, dem jetzigen Filmemacher Joe Talbot, so erzählt hat. Jimmie Fails spielt Jimmie Fails, Montgomery Allen ist wohl ein alter Ego des Filmemachers.

Es ist nicht so wichtig, was an der Geschichte stimmt und was zur Familiengeschichte der Fails gehört. Das Haus und die Kindheitserlebnisse im eigenen Haus, im Herzen der Stadt, deren Gentrifizierung mit dem Siegeszug des Silicon Valley obszöne Züge angenommen hat, bilden einen Teil des Stimmungsbildes dieses Films.

Joe Talbot bevölkert ihn mit vielen Figuren, die das Leben in San Francisco geprägt haben. Aber er gibt allem eine träumerische Qualität, eine Patina; da schwingen viele San Francisco Filme im Hintergrund mit, von der schwarzen Serie bis zu den Dirty Harrys der 70er Jahre, ganz leise, manchmal nur über das Licht.

Die beiden Hauptfiguren, die Freunde, verkörpern das alte, offene, liberale San Francisco der Hippie- und Nach-Hippie-Zeit, der weisse Filmemacher und sein schwarzer Jugendfreund, für die es gar nie eine Frage war, ob es so etwas wie Rassen- oder Klassenschranken geben könnte.

Mike Evans © A24 Films

Dass im Film beide Freunde schwarz sind, sorgt dafür, dass allfällige Risse anderen Linien entlang verlaufen. So sind Jimmie und Mont liebenswürdige, offene, gebildete Menschen, im Kontrast zum griechischen Chor, der kleinen karikierten Gruppe von «Gangsta-Niggern», die vor dem Häuschen von Grandpa Allen herumhängen und sich gegenseitig als Bitches dissen – bis einer von ihnen erschossen wird und die anderen ihre Fassaden bröseln lassen – einer bricht gar an Monts Schulter hemmungslos in Tränen aus.

Hier in Locarno wirkt The Last Black Man in San Francisco wie die Verlängerung der «Black Light» Retrospektive in den Wettbewerb hinein. Absolut stimmig und einleuchtend.

Weder die Dramaturgie noch das Licht dieses Films folgen irgendwelchen Konventionen. Manchmal wirkt alles improvisiert – ein Teil des unter anderem über Crowdfunding finanzierten Projektes war es auch – und manchmal bewusst überhöht und zugleich verspielt.

Was nicht zu finden ist in The Last Black Man in San Francisco, sind die etablierten filmischen Konventionen. Weder auf emotionaler Ebene – auf der alles zu fliessen scheint – noch auf der dramaturgischen. Mit Ausnahme vielleicht von jenem Moment, in dem Jimmie seinen Traum als Lebenslüge erkennt und die Konsequenzen zieht.

«It’s not your loss», sagt sein Freund, «it’s San Francisco’s».

Tichina Arnold © A24 Films

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