Venedig 19: JOKER von Todd Phillips

Joaquin Phoenix als ‚Joker‘ © Warner Bros.

Festivaldirektor Alberto Barbera fährt seinen Kurs, Venedig als Oscar-Startrampe zu etablieren, unbeirrt weiter. Immer mehr gleicht der internationale Wettbewerb einem Blockbuster-Festival, in dem die wenigen unbekannten und leiseren Arthousefilme zu verschwinden drohen.

Mit «Joker» hat Barbera einen Film in den Wettbewerb aufgenommen, der zwar im weiteren Sinn als Autorenfilm durchgehen kann (Hangover-Regisseur) Todd Philips hat Regie geführt und am Drehbuch mitgeschrieben und gleich auch selber mitproduziert. Aber «Joker» ist eben auch eine grosse Hollywood-Produktion (Warner).

Nichtsdestotrotz: die Neugier war gross auf diese Comic-Verfilmung aus dem DC Extended Universe, die den Werdegang des Batman-Antagonisten Joker zeigt. Vor allem die Neugier darauf, ob Joaquin Phoenix die Herausforderung meistern würde, dieser dermassen vom verstorbenen Schauspieler Heath Ledger besetzten Figur ein neues Gesicht zu verleihen.

Joaquin Phoenix © Warner Bros.

Wenn das einer könnte, dann Joaquin Phoenix, dessen Spiel gleichzeitig nuanciert und verrückt genug sein kann, der leise Töne ebenso beherrscht wie die totale Verausgabung.

Leider aber ist dieser Joker etwas zu fest mit ihm durchgegangen, sein Spiel zu forciert, zu exzessiv verrückt. Wäre dieser Film Joker tatsächlich als grellbunte Comic-Verfilmung inszeniert, hätte die Figur, so wie Phoenix sie spielt, durchaus ihre Berechtigung. Denn Phoenix kann spielen, keine Frage, und er gibt diesem Joker auch eine ganz andere Haltung und Verrücktheit als Ledger.

Joaquin Phoenix © Warner Bros.

Manchmal sind sie auch da, die feinen, stillen Momente und dann ist er besonders gut. Aber dann wieder läuft die sehr schräge Exaltiertheit, die Phoenix dem eigentlich schüchternen Mann verleiht, der Absicht des Films zuwider. Todd Phillips‘ Version von Jokers Geschichte versucht den Spagat zwischen schrägem Comic und psychologischer, tiefgründiger und nachvollziebarer Biographie. Und scheitert leider genau daran.

Joker ist die Geschichte von Arthur Fleck, einem todtraurigen, einsamen Menschen, der noch bei seiner Mutter wohnt und dessen grösster Traum es ist, als Stand Up Comedian zu reüssieren. Sein Geld verdient er als Miet-Clown.

Fleck hat eine neurologische Störung: wenn er emotional bewegt ist oder sich zu fest aufregt, überkommt ihn ein unkontrollierbares irres Lachen – auch in Momenten, in denen ihm eigentlich zum Weinen ist. Fleck scheitert, wo er nur scheitern kann; er wird immer wieder gedemütigt und erniedrigt, bis er eben zu jenem Joker wird, der dann später (der Film hört auf, als Batman, alias Bruce Wayne, noch ein Kind ist) in Gotham City zum Oberschurken wird und zum grossen Widersacher Batmans.

Dieser oben erwähnte Spagat zwischer ernster psychologischer Studie und Comicverfilmung gelingt überhaupt nicht: und dabei wäre ersteres durchaus interessant gewesen. Aber dafür hätte es leisere Töne gebraucht, sowohl in der Inszenierung, als auch im Spiel von Joaquin Phoenix als Arthur, dessen irres Lachen schon beim dritten Ausbruch unglaublich nervt (und es gibt noch viele davon).

Joaquin Phoenix als ‚Joker‘ © Warner Bros.

Noch viel fragwürdiger als die Unentschiedenheit zwischen schräg und realistisch ist die Anlegung der Figur «Joker»: Der Film vermittelt volles Verständnis für die Figur, die nur von einem schlechten Umfeld und einer bösen Gesellschaft zum Soziopathen gemacht wird. Und weicht bis zum Ende (und wir wissen ja schon von Anfang an, was aus dem Joker einmal werden wird) nicht von dieser Haltung ab, irgendwie sei dieser zum Mörder mutierte Clown doch ein bedauernswertes Geschöpf.

Dass die Geschichte auch noch eingepackt ist in eine Art Gesellschaftskritik, hilft nicht, im Gegenteil. Sie vermittelt eine Gesellschaft, in der nur Raubtiere bestehen können. Der Spruch des Philosophen Thomas Hobbes, «homo homini lupus» (der Mensch ist dem Mitmenschen ein Wolf), wird am Ende nicht als Kritik im Raum stehen, sondern als Anleitung, als einzig mögliche Lösung.

Und wenn Gotham ein Bild für unsere heutige Welt sein soll, oder zumindest für die USA, dann ist Todd Phillips’ Film eine traurige Bestandsaufnahme mit einem brandgefährlichen Fazit: Es sind nicht mehr die Batmans dieser Welt, denen die Sympathien der Menschen zufliegen, sondern die Clowns, Joker und Bösewichte – sie versucht dieser Film zu verstehen, ihr Handeln durch eine traurige und sympathisierende Biographie zu legitimieren, sie zu humanisieren.

Zumindest macht der Film verständlich, warum Clowns, Joker und Komiker aktuell weltweit einen so grossen Rückhalt geniessen und überall in die Politik gewählt werden.

Kinostart: 10. Oktober 2019

© Warner Bros.

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