GUT GEGEN NORDWIND von Vanessa Jopp

Nora Tschirner als Emmi Rothner © Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

«Gut gegen Nordwind» hiess der Email-Roman, mit dem der Österreicher Daniel Glattauer 2006 einen Bestseller landete. Tausende verschlangen die Liebesgeschichte der Email-Zufallsbekannten Leo Leike und Emmi Rothner. Der Roman wurde in 28 Sprachen übersetzt, als Theaterstück inszeniert und so fürs Fernsehen aufgezeichnet. Jetzt aber, 13 Jahre später, kommen Leo Leike und Emmi Rothner ins Kino.   Gut gegen Nordwind ist jetzt ein Film mit Nora Tschirner und Alexander Fehling.

Es war durchaus eine gute Idee, welche Daniel Glattauer vor 14 Jahren hatte. Den Briefroman, das neben dem Tagebuch intimste Format der klassischen Literatur, unseren Zeiten anzupassen. Email, die blitzschnelle, aber doch schriftliche Kommunikation auf Distanz, ideal für eine beschleunigte Liebesgeschichte im Zeitgeist, voll aus dem Leben der Leserinnen und Leser gegriffen – oder doch wenigstens aus ihren heimlichen Träumen.

Man war sozusagen in Echtzeit dabei, als Leo Leike aus Versehen die erste Email von Emma Rothner erhielt, die bei einem ähnlich klingenden Verlag ein Zeitschriften-Abo abbestellen wollte. Leserinnen und Leser erlebten Seite für Seite, wie aus dem Flirt der beiden Unbekannten eine Fernbeziehung wurde und schliesslich eine schöne, tragische Liebesgeschichte.

Alexander Fehling als Leo Leike © Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Und so geht einem denn zunächst auch das Herz auf, wenn Alexander Fehling als Leo Leike der Nora Tschirner als Emma Rothner nun auch im Kino schriftlich näherkommt, nach Klärung der ersten Missverständnisse.

Dass er das auf dem Mobiltelefon tut, im Auto sitzend, fällt einem dabei gar nicht auf.

Und genau das ist das Problem dieses Films: Die so reizvoll verboten wirkende Intimität, welche die Lektüre des Email-Wechsels damals bei den Leserinnen und Lesern des Romans suggerierte, wurde auch in unserem Alltag längst abgelöst durch den kommunikativen Overkill auf allen Kanälen.

Wenn die verheiratete Emmi damals heimlich mit Leo korrespondierte, hatten die beiden tatsächlich so etwas wie eine Insel mit ihrem Email-Wechsel. Heute aber spielen sich alle Beziehungen auf allen Kanälen ab, immer und überall.

Und plötzlich ist die zeitgemäss angepasste schriftliche WhatsApp-Intimität des Leo Leike und der Emmi Rothner eher eine Karikatur unserer eigenen Alltags-Erfahrung. Eine ganz gewöhnliche Beziehung einer nicht ganz glücklich verheirateten Frau mit einem leicht neurotischen, wenn auch charmanten Mann.

Nora Tschirner als Emmi Rothner © Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH

Wir schauen Nora Tschirner und Alexander Fehling zu in diesem Film, und sie benehmen sich mit Mobiltelefon und Computer so, wie sich alle Filmfiguren heute benehmen: Kommunikation in Echtzeit und auf getrennten Kanälen. Chatten mit dem Lover und Einkaufslisten austauschen mit der Freundin.

«Gut gegen Nordwind» ist eine kompetent erzählte zeitgenössische Liebesgeschichte. Aber so technisch-realistisch erzählt, ist sie eben nur noch eine unter vielen. Die längst schon wieder überholte Intimität des Email-Romans kann der Film so nicht wiederherstellen.

Wahrscheinlich wäre es bei dem Adaptions-Aufwand interessanter geworden, man hätte gleich wieder einmal «Die Leiden des jungen Werther» von Goethe ins WhatsApp-Zeitalter übertragen.

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