Venedig 20: LACCI von Daniele Luchetti

Luigi Lo Cascio und Alba Rohrwacher in ‚Lacci‘ © Gianni Fiorito

Zum ersten Mal seit elf Jahren darf wieder ein italienischen Film das grosse Festival im eigenen Land eröffnen. Die 77. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele Venedig ist eine besondere: es ist das erste grosse Festival, das wieder vor Ort stattfindet statt nur virtuell.

Kamerablick auf eine Reihe von Füssen. Musik setzt ein, alle Füsse beginnen gleichzeitig an zu tanzen: Das ist die allererste Filmszene dieser besonderen Festivalausgabe 2020. ein Fest wird gefeiert. Venedig feiert das Kino, den Film – zwar durften nur halb so viele Menschen wie sonst mitfeiern, denn jeder zweite Platz im Festivalpalast wurde freigelassen. Und auch das Lächeln der geladenen Gäste war versteckt unter den Masken, die auch während aller Kinovorstellungen auf den Gesichtern bleiben müssen.

Luigi Lo Cascio und Alba Rohrwacher in ‚Lacci‘ © Gianni Fiorito

Dieses Lächeln verschwand aber nach der ersten Szene von Lacci sowieso wieder. Denn kurz nach diesem Fest, an auch die vierköpfige neapolitanische Familie (bestehend aus Vater Aldo, Mutter Vanda und den beiden Kindern Anna und Sandro) teilgenommen hat, eröffnet Aldo seiner Frau, er habe eine aussereheliche Beziehung angefangen.

Der Film spannt einen Bogen über 30 Jahre hinweg – hier sind die jungen Eltern Aldo und Vanda Anfang der 1980er Jahre, die versuchen, mit ihrem Beziehungs- und Familienchaos zurecht zu kommen, dort sind die gealterten Aldo, Vanda und ihre jetzt schon 40-jährigen Kinder in der Jetztzeit – und was nach all den Brüchen, Ängsten, Kränkungen aus ihnen geworden ist.

‚Lacci‘ © Gianni Fiorito

«Lacci» heisst Schuhbändel – um die wird es irgendwann im Film auch gehen. Aber natürlich sind mit Lacci auch die Bande gemeint, die ein Paar, eine Familie zusammenhalten. Doch diese Bande sind – wie es Regisseur Lucchetti beschreibt – keine zarten, keine von Liebe geprägten. Diese Lacci hier sind aus Stacheldraht. Verletzend, aber nicht zu trennen.

Daniele Luchetti hat – nicht zum ersten Mal – für diesen Film mit dem Schriftsteller und Drehbuchautor Domenico Starnone zusammengearbeitet – «Lacci» ist sein Roman. Starnone übrigens ist mit der Übersetzerin Anita Raja verheiratet – hinter der man die vielgelobte «Neapel-Saga»-Autorin Elena Ferrante vermutet.

Laura Morante und Silvio Orlando in ‚Lacci‘ © Gianni Fiorito

Auch die Geschichte von Aldo und Vanda ist hauptsächlich in Neapel angesiedelt. Sie wird nicht chronologisch und nicht linear erzählt: das macht auch das Besondere dieses Films aus. Die Spannung entwickelt sich daraus, dass in der Zeit gesprungen wird, manche Szenen sogar zweimal erzählt werden; weil auch zwischen den Perspektiven gewechselt wird. Zuerst scheint Lacci die Geschichte der Vanda zu sein, deren Mann sie betrügt. Dann wird sie aber zur Geschichte von Aldo, der sich in der Familienkonstellation eingeengt fühlt. Schliesslich ist es auch die Geschichte der Kinder Anna und Sandro, die unter der ganzen Situation leiden.

Vor allem als jüngeres Paar sind Aldo und Vanda brilliant besetzt: zwischen Alba Rohrwacher und Luici Lo Cascio passiert unglaublich viel. Ihre Dialoge sind manchmal so eisig, dass man im Kino direkt friert. Und ihre Mimik ist manchmal minimal und dennoch passiert grad ganz viel zwischen ihnen. Das fällt vielleicht grad umso mehr auf, als dass im Moment die Mimik aller Menschen hinter Masken verschwinden.

Mit Daniele Luchettis Lacci als Eröffnungsfilm hat die Festivalleitung einen guten Ton getroffen: keine grosse Party wird dieses Jahr am Lido gefeiert, sondern alle Spielarten, Zwischentöne, Formen und Farben des Kinos werden ausgerollt. Ein schöner Auftakt.

Regisseur Daniele Luchetti © Gianni Fiorito

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