THE MIDNIGHT SKY von George Clooney

George Clooney als Augustine Lofthouse © Ascot Elite

Kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag beweist sich Hollywood-Star George Clooney zum siebten Mal als Regisseur. The Midnight Sky heisst sein von Netflix produzierter Science-Fiction-Thriller. Und wie so oft bei ambitionierter Science Fiction spielt das eigentliche Drama auch hier mehr im Kopf als im Weltraum.

Jung und ambitioniert ist der Forscher Augustine, als er der Frau seines Lebens von seiner grossen Hoffnung vorschwärmt: «Nur schon in unserer eigenen Galaxie gibt es Millionen von Sternen. Mindestens einer von denen hat das Potential, Leben zu ermöglichen…»

George Clooney als Augustine Lofthouse in ‚The Midnight Sky‘ © Ascot Elite

Nun aber ist Augustine, gespielt vom bärtigen und abgemagerten George Clooney selber, alt, todkrank und allein auf seiner Forschungsstation in der Arktis. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden evakuiert, weil eine nicht weiter definierte Umweltkatastrophe das Atmen auf der Erdoberfläche verunmöglicht hat.

Nur ein offenbar vergessenes stummes kleines Mädchen leistet dem kranken Forscher Gesellschaft. Ihr erklärt er, dass er versuche, via Funk das Raumschiff Ether zu erreichen, jenes Schiff, das er und die Menschheit vor Jahren losgeschickt hatten, um einen bewohnbaren Planeten zu finden.

Er müsse die Crew warnen, bevor sie allenfalls auf der unbewohnbar gewordenen Erde landen…

George Clooney hat den Roman «Good Morning, Midnight» von Lily Brooks-Dalton als Mischung der zwei interessantesten Science-Fiction-Filme seiner Schauspieler-Karriere inszeniert. Der Teil, welcher bei der Weltraum-Crew der Ether spielt, erinnert an Alfonso Cuarons Weltall-Odyssee Gravity.

Felicity Jones als Sully Rembshire in ‚The Midnight Sky‘ © Ascot Elite

Und der Teil im arktischen Eis mit Clooney als Forscher Augustine natürlich an Steven Soderberghs Remake des Tarkowski-Klassikers Solyaris.

Das ist eine interessante Ausgangslage, weil die beiden Filme, auf die Clooney sich bezieht, den Science-Aspekt ihrer Geschichten betonten und das menschliche Beziehungsgeraune eher als emotionalen Ballast mitschleppten. Insebsondere Soderbergh hat seinerzeit wohl versucht, Stanisław Lems Roman frei von der christlich-mystischen Aufladung durch Andrei Tarkowski neu zu inszenieren.

In meiner Erinnerung ist ihm das nur bedingt gelungen. Soderberghs Solaris empfand ich als kalt und seelenlos – vielleicht gerade darum, weil ich Tarkowskis Film schon als Teenager geliebt habe.

Clooney jedenfalls dreht das auch wieder um, arbeitet gezielt und etwas gar simpel die Einsamkeit seines Augustine heraus. Damit bringt er die Figur und ihr Innenleben wieder näher an die Tarkowskis Solaris (mit der sich Autor Stanisław Lem offenbar nie anfreunden konnte).

Natalya Bondarchuk und Donatas Banionis in ‚Solyaris‘ von Andrei Tarkowski (1972)

In Solaris ist es der Matmos, der See auf dem Planeten unter der Station, der die Erinnerungen der Crew medialisiert. Da taucht plötzlich die verstorbene Frau des Stationspsychologen wieder auf, physisch und real, und ohne irgendwelche Merkmale oder eigene Erinnerungen, die nicht aus der Erinnerung ihres Mannes rekonstruierbar sind.

Bei Tarkowski ergab sich daraus ein ganzer Cluster religionsphilosopischer Fragen, während Lem mit seinem Science Fiction Roman wohl eher neurotechnologische Probleme umtrieben.

Die Frage, ob wir unsere Erinnerungen sind, oder ob unsere Erinnerungen uns ausmachen, lässt sich jedenfalls immer wieder neu auflegen, auch in simpler Hollywoodmechanik. Sind Begegnungen real oder Wunschdenken?

Da schliesst sich im Drehbuch für Clooneys The Midnight Sky und im Kino für uns als Zuschauerinnen ein filmstofflicher Kreis, in dem Moment, da endlich ein Signal aus der Tiefe des Weltalls in der Arktis eintrifft.

Die überlebende Crew der Ether meldet sich auf der Erde, bzw. beim «letzten Menschen» Augustine und die Relationen zwischen den Abgesandten und dem Absender entpuppen sich als höchst komplex – und wirklich einfach.

George Clooneys The Midnight Sky kommt trotz technischer Perfektion höchstens ansatzweise in die Nähe seiner Vorbilder. Aber als Science-Fiction Drama mit zwei räumlich getrennten Herzkammern, der Station in der Arktis und dem Raumschiff im All, bekommt der Film am Ende eine Geschlossenheit, die überrascht und rührt.


Ab 10. Dezember 2020 in den Deutschschweizer
Kinos (jenen, die offen sind), ab 23. Dezember auf Netflix

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