THE BRAIN – Cinq nouvelles du cerveau von Jean-Stéphane Bron

‚5 nouvelles du cerveau‘ von Jean-Stéphane Bron © Praesens

Begleitet von Windgeräuschen und sphärischen Klängen schwebt die Kamera durch ein leeres Labor bis zu einem freigelegten Gehirn in einer Schale.

Jean-Stéphane Bron dockt gerne beim Genrekino an. Die dokumentarische Begegnung mit dem reichen Mann von Herrliberg, L’expérience Blocher (2013), bezeichnet er als seinen Vampirfilm.

Und nun, da er den Hirnforschern genauer zuhört, weckt er unsere Neugier eben mit einem Hauch von Alien, dem Klang von Science-Fiction, ironisch, subtil.

Unser Gehirn besteht aus sechzig Milliarden Neuronen. Die Neuronen kommunizieren untereinander mit elektrischen Signalen – und wenn man die verstärkt, kann man sie hören. Und schon britzelt es auf der Tonspur.

Das Denken hören – wenn man es schon nicht sehen kann. Das ist typisch für Jean-Stéphane Bron. Der Filmemacher macht komplexe Dinge nicht einfach. Aber anschaulich.

Mit Mais im Bundeshuus, L’expérience Blocher oder Cleveland vs. Wallstreet hat er politische und gesellschaftliche Zusammenhänge einleuchtend und unterhaltsam dargestellt.

Aude Billard © Praesens

Bron bringt uns dieses Mal insgesamt fünf Forscherinnen und Forscher und ihre Arbeit näher. Dabei schlägt er einen Bogen von der abstrakten mathematischen Simulation des Denkens für die Programmierung künstlicher Intelligenz bis hin zu den praktischen Versuchen der Lausanner Physikerin Aude Billard. Sie versucht, mechanischen Armen das Feingefühl menschlichen Greifens beizubringen.

Bruder und Schwester Pouget in ‚5 nouvelles du cerveau‘ von Jean-Stéphane Bron © Praesens

Da fragt eine junge Frau ihren in Oxford forschenden Bruder, ob diese angestrebte künstliche Intelligenz KI denn versuche, die Vorgänge in unserem Gehirn exakt abzubilden, wie es Alexandre Pouget, der Vater der beiden, versucht.

Bei seiner Arbeit gehe es eher um die Resultate, eine KI für ein selbstfahrendes Autor müsse nicht denken wie ein Mensch, aber richtig reagieren.

Was die junge Frau zur verblüffenden Frage führt, ob es demnach intelligentere Arten gebe, zu Resultaten zu kommen, als sie unser Gehirn benutze?

Brons Dokumentarfilm braucht keinen Kommentar, wenig Texteinblendungen. Die Informationen und Fragestellungen tauchen fast beiläufig im Dialog der Protagonisten auf.

Der Genfer Neurowissenschaftler Alexandre Pouget, Vater der fragenden Töchter und des in Oxford forschenden Sohnes, ist dezidiert der Meinung, unser Gehirn funktioniere nicht speziell anders als das anderer Lebewesen.

Was Jean-Stéphane Bron sogleich in Frage stellt, indem er die Bilder des Koffer packenden Alexandre mit dem uns bereits bekannten Denk-Britzeln unterlegt. Wir hören, wie Alexandres Gehirn seine Hemden auswählt. Fühlt sich eben doch speziell an.

Christof Koch und sein geliebter Hund © Praesens

Der eigentliche Star des Films, Neurowissenschaftler Christof Koch, denkt über die Seele nach. Als Katholik sei er sozusagen mit einer verbesserten Seele 2.0 aufgewachsen. Aber auch die verschwinde, wenn sich sein Gehirn und sein Körper auflösen.

The Brain – cinq nouvelles du cerveau von Jean-Stéphane Bron ist eine schlüssige, unterhaltsame und extrem lehrreiche Reise durch den vermittelbaren Teil der aktuellen Gehirnforschung.

Mit erschreckenden Ideen neben zutiefst menschlichen Bemühungen, etwa den Versuchen von Niels Birbaumer, vollständig gelähmten Menschen mit dem sogenannten Locked-In-Syndrom über Gehirn-Computer-Interaktionen die Kommunikation wieder zu ermöglichen.

                  • Der Dokumentarfilm ist im Rahmen der Solothurner Filmtage 2021 über deren Website seit heute 12 Uhr für 72 Stunden und maximal 1000 Zuschauerinnen streambar.
                  • Ins Kino kommen soll der Film sobald die Kinos wieder öffnen können.
                  • Die SRG hat diesen Film koproduziert.
                  • Verleih: Praesens

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