DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE von Silvan & Ramon Zürcher (Berlinale 2021, Encounters)

Lisa (Liliane Amuat) und Mara (Henriette Confurius) © Xenix

Willkommen in der Mitte. Sie liegt in Berlin, auch wenn tatsächlich in Bern gedreht wurde.

Das merkwürdige Kätzchen aus dem gefeierten Spielfilmerstling der Zürcher Brüder von 2013 ist auch wieder dabei, in diesem mittleren Teil der geplanten Familien-Trilogie.

Oder jedenfalls eine optisch verwandte Verwandte, die natürlich auch ein Kater sein könnte.

Die alte Dame im oberen Stock soll sie einmal über Tage hinweg in ihre Wohnung entführt haben. Aber das ist eine andere Geschichte.

Dagna Litzenberger Vinet (Kerstin) © Xenix

Das Mädchen und die Spinne ist voll von solchen Geschichten, von denen man nicht zu wissen braucht, ob sie einmal wahr waren, ob sie eben erfunden wurden, oder ob sie ganz einfach zur spontanen Wahrheitsfindung gelogen sind.

Mara (Henriette Confurius) bekennt sich jedenfalls lächelnd zur Lüge als Wahrnehmungsform, als ihre Wohnungsnachbarin herausfindet, dass Mitbewohner Markus gar nicht zusammen mit Lisa (Liliane Amuet) ausziehen wird.

Flurin Giger (Jan), Henriette Confurius (Mara), Dagna Litzenberger Vinet (Kerstin) © Xenix

Dieser Auszug von Lisa, ihr Einzug in eine erste eigene Wohnung, dieser sanfte, aber bestimmte Bruch mit der bisherigen Wohngemeinschaft, das bildet den Hintergrund zu diesem Film.

Aber es sind nicht die erzählten Geschichten, welche diesen wunderbar einehmenden Film zu einem runden Reigen verbinden, es sind die Blicke.

Unzählige der von einer meist statischen Kamera eingefangenen Blicke auf die Gesichter der Figuren enden mit deren Blick, der aus der Einstellung hinaus direkt in die nächste führt. Blicke in andere Augen, Blicke auf Gesichter, Blicke auf Dinge, Pflaster, Zeichnungen.

Ursina Lardi spielt Lisas Mutter Astrid © Xenix

Wenn dann zwischendurch der kleine Hund von Lisas Mutter Astrid (Ursina Lardi) wieder mal einen Schwamm klaut – er klaut etliche Schwämme – ist das wie eine Rückversicherung für mich als Zuschauer, dass auch mein Blick mich mit diesem hinreissend alltagsgefährlichen Universum verbindet.

Denn das Blicknetz der Frauen und Männer in diesem Film ist verfänglich, sanft und selbstbestimmt, wie das Netz der titelgebenden Spinne. Die Blicke, quer durch den einen filmischen Raum in den nächsten, sind zwingend.

Man möchte sich als Eindringling darunter wegducken wie unter den Laserstrahlen einer Raumsicherung. Allerdings nicht, um keinen Alarm auszulösen, sondern um das dichte, lebendige Gewebe nicht zu stören.

Liliane Amuat als Lisa © Xenix

Klar, an Arthur Schnitzlers Bühnendrama «Reigen» erinnern nicht nur die dynamisch wechselnden Verbundenheiten, Anziehungen, Abstossungen der Figuren. Auch der alles verbindende Klavierwalzer «Gramofon» von Eugen Doga trägt mit seiner fin-de-siècle-Anmutung ein melancholisch-fröhliches Echo bei. Aber in all diesen Abschieden und Erinnerungen, Wünschen und Sehnsüchten jubelt die Offenheit des Möglichen.

Das Mädchen und die Spinne ist ein Film, der glücklich macht.

Der Kinostart Deutschschweiz ist für Sommer 2021 geplant

Ramon und Silvan Zürcher © Xenix

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