BALLAD OF A WHITE COW (Ghasideyeh gave sefid) von Behtash Sanaeeha & Maryam Moghaddam (#Berlinale2021 Wettbewerb)

Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar © Amin Jafari

Das erste Bild dieser iranisch-französischen Koproduktion nimmt den Titel auf, und die Aufmerksamkeit des Publikums.

Eine riesige weisse Kuh steht in einem noch riesigeren Gefängnishof, der genau so gut eine Tempelanlage sein könnte. Ein Chor schwarzgekleideter Menschen drängt sich den Aussenwänden entlang.

Dann wacht Mina im Auto auf.

Das Bild des Opfertiers im staatlichen Repressionstempel ist der deutlichste Hinweis darauf, dass alles was folgt in diesem Film mehr ist als eine private, individuelle Tragödie.

Maryam Moghaddam, Pourya Rahimisam © Amin Jafari

Minas Mann wurde zu Tode verurteilt und exekutiert für den Mord an einem Mann, dem er Geld schuldete. Wie sich später herausstellt, war aber nicht er der Mörder, sondern sein Mittäter.

Die staatliche Gerichtsbarkeit lädt Mina vor, erklärt ihr den Irrtum und kündigt die Standardentschädigung der Scharia für einen ermordeten Angehörigen an, das Blutgeld. Damit ist der Religionsstaat seinen Gesetzen nachgekommen.

Mina fordert allerdings mehr. Sie will eine Entschuldigung von den zuständigen Richtern. Die fordert sie ein, schliesslich über ein Zeitungsinserat.

In der Zwischenzeit ist Reza bei ihr aufgetaucht, ein freundlicher, ernsthafter Mann, der ihr eröffnet, er habe ihrem Mann noch Geld geschuldet, diese Schuld wolle er begleichen. Und schliesslich wird Reza für Mina und ihre taubstumme kleine Tochter Bita zum Unterstützer und Freund.

Lili Farhadpour, Maryam Moghaddam © Amin Jafari

Mina ahnt allerdings nicht, was Reza quält und was das Publikum schon früh erfahren hat: Reza ist einer der zuständigen Richter, deren Fehlurteil Mina nicht einfach auf sich beruhen lassen will.

Alireza Sanifar © Amin Jafari

Die Konstellation erinnert an Marc Forsters Monster’s Ball von 2001. Allerdings gehen Sanaeeha und Moghaddan weit über das persönliche Drama des amerikanischen Films hinaus. Und nicht einmal ansatzweise in die Nähe seiner erotisch-rassistischen Konnotationen.

Maryam Moghaddam spielt Mina gleich selber, und spiegelt die hartnäckige, auf Gerechtigkeit pochende Frau in ihrer taubstummen, aber nicht weniger selbstbestimmten kleinen Tochter.

Der Film verhandelt zwar vordergründig auch das menschliche Drama um Schuld und Gewissen und Wiedergutmachung. Aber Sanaeeha und Moghaddam machen immer wieder unmissverständlich klar, dass die Unmenschlichkeit der Situationen vom Religionsstaat ausgeht, in dem Gerechtigkeit nicht gesucht und verhandelt wird, sondern nach fixen Regeln dispensiert.

Richter Reza ist wohl Teil des Systems, bis er sich verweigert. Aber Opfer ist er schon vorher. Und die drastische Rechtebeschneidung, welche Mina als Witwe erfährt, wird eben so schnell sichtbar als Teil eines starren Regelsystems, das Selbsterhaltung über jede Menschlichkeit stellt.

Ballad of a White Cow ist einerseits ein ganz klassisches Filmdrama, das auch mit Verweisen auf Kino und Filme mehr als spielt – bis hin zum vorrevolutionären iranischen Film Bita, dem Minas Tochter ihren Namen verdankt und den Mutter und Tochter an einem fröhlichen Abend mit Reza zuhause schauen.

Maryam Moghaddam © Amin Jafari

Andererseits ist der Film aber in der iranischen Tradition aufgeladen mit Symbolik, insbesondere rund um die titelgebende weisse Kuh. Mina arbeitet in einer Milchabfüllfabrik am Tetrapak-Fliessband. Und in einer Szene kommt jenes Glas Milch zum Einsatz, dem schon Alfred Hitchock in Suspicion 1941 ein ganz eigenes Leuchten verliehen hatte.

Das ist ein wuchtiger, wütender Film, der einmal mehr die Aussagen all jeder iranischen Künstler und Filmemacherinnen bestätigt, dass dieser Staat sich nicht um kritische Kunst kümmert, so lange sie die Dinge nicht direkt und wörtlich auf den Punkt bringt. Das menschliche Drama dieser Figuren lässt sich eben ohne weiteres auf den Monster’s Ball reduzieren. Zumal bis auf Reza die staatlichen Funktionäre gesichts- und persönlichkeitslos gezeigt werden.

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