WHEEL OF FORTUNE AND FANTASY (Guzen to sozo) von Ryusuke Hamaguchi (#Berlinale2021 Wettbewerb)

Ayumu Nakajima, Hyunri © Neopa / Fictive

Drei Teile umfasst Hamaguchis aktueller Wettbewerbsbeitrag, drei unabhängige, in sich geschlossene, ausgesprochen redselige Menschenbegegnungen, die wie literarisch vorgebaute Kurzgeschichten wirken.

Ob es an der Allgegenwart der Serien liegt? Episodisches Erzählen löst im internationalen Autorenkino gerade wieder einmal den grossen Bogen ab. Zumindest lässt der Wettbewerb der aktuellen Berlinale die Vermutung zu.

Ungarns Benedek Fliegauf (Womb, 2010) versammelt in Rengeteg – mindenhol látlak (Forest – I See You Everywhere) Paarbeziehungsdiskussionen in verschiedenen Ausprägungen, als eine Art Wiederaufnahme seines eigenen Erstlings Rengeteg von 2003.

Hong Sangsoo hat eigentlich schon immer, oder immer wieder episodisch erzählt, sein aktueller Inteurodeoksyeon (Introduction) im Wettbewerb ist nun allenfalls noch etwas episodischer.

Auch Memory Box springt episodisch zwischen den Zeitebenen hin und her, aber immerhin mit einem grossen, dichten erzählerischen Rahmen.

Kiyohiko Shibukawa, Katsuki Mori © Neopa / Fictive

Ryusuke Hamaguchi dagegen, der in Locarno 2015 mit seinem 317 Minuten langen Happy Hour noch einer der Pioniere der endlos langen, aber überzeugend konstruierten Festivalfilme war, kommt heuer mit 121 Minuten aus, anteilsmässig ziemlich gerecht verteilt auf drei Episoden.

Kotone Furukawa, Ayumu Nakajima © Neopa / Fictive

In Teil eins erzählt eine Frau im Taxi ihrer besten Freundin von der wunderbaren Begegnung mit einem Mann, die wohl Zukunft haben könnte. Die Freundin merkt, dass von ihrem eigenen Ex die Rede ist, sagt nichts und geht ihn konfrontieren.

Teil zwei dreht sich um den Versuch einer Frau, ihren Literaturprofessor in eine erotische Falle zu locken, aus Rache für einen anderen Mann.

Und im dritten Teil begegnen sich zwei Frauen, die sich für einstige Schulkolleginnen halten, aber erst nach einer Weile merken, dass sie sich tatsächlich noch nie getroffen haben.

Fusako Urabe, Aoba Kawai © Neopa / Fictive

Alle drei Episoden zeichnet der dramatische Wechsel in der Beziehungsvorstellung aus. Und in allen drei Episoden wird fast durchgehend geredet. Das ist durchaus packend, auch dank dem Einsatz der Schauspielerinnen und Schauspieler.

Aber ein Film wie Das Mädchen und die Spinne von den Zürcher-Brüdern (notabene nicht im Wettbewerb sondern in den «Encounters») zeigt, wie viel filmischer, zwingender und ansprechender, kinetischer, ein Film mit Beziehungen und Verwicklungen umgehen kann. Ohne auf das durchaus lebendige Reden zu verzichten.

Nun ist es in der Regel blödsinnig, den doch mehr oder weniger willkürlichen Ausschnitt aus dem globalen Filmschaffen, den ein Wettbewerb darstellt, zum Trend zu erklären.

Aber die eigenen Reaktionen auf Filme, die in so dichter Folge auf einen einprasseln, die sind durchaus interessant. Nicht zuletzt darum, weil sie uns im besten Fall zeigen, wonach wir wirklich hungern.

Bei mir sind es, nach einem Jahr des episodischen, sprunghaften, abgelenkten Filme- und Serien-Schauens die zwingenden Konstruktionen, die grossen Erzählkurven, das Gefühl, vom Tempo und der Kraft des Gebotenen in den Sitz gepresst zu werden.

Da kann Ryusuke Hamaguchi nun wirklich nichts dafür. Sein Film ist, ganz objektiv, gut gemachtes Kino. Streamingtauglich.

Ryusuke Hamaguchi © Ryoga Shioda

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