ANNETTE von Léos Carax

Adam Driver ist Henry McHenry – Der Affe Gottes © filmcoopi

Der Eröffnungsfilm des Filmfestivals von Cannes trägt dick auf. Ein Standup-Comedian mit dunkler Seele verliebt sich in eine betörend begabte Operndiva. Beauty and the Beast! Marion Cotillard und Adam Driver! Musik und Drehbuch von den legendären «Sparks».

Frankreichs ewiger Wildfilmer Léos Carax (Les amants du Pont Neuf) ist eine überraschende Wahl, um ein Libretto von Ron und Russell Mael zu verfilmen. Aber die beiden Brüder sind ja auch nicht einfach irgendwer, sondern die kreativen Köpfe der einstigen Glamrocker «Sparks» («This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us»). Und darum geht es auch um Showbusiness, Musik und Abgründe in Annette.

Adam Driver spielt den Standup-Comedian Henry McHenry, den Affen Gottes, wie er sich nennt. Sein aggressiver Humor ist immer haarscharf auf der Grenze zur Geschmacklosigkeit, seine unterdrückte Wut und sein Selbsthass machen ihn erfolgreich.

Adam Driver und Marion Cotillard © filmcoopi

Und so verfolgt die Öffentlichkeit atemlos und hingerissen seine Liebesgeschichte mit der Operndiva Ann (Marion Cotillard) die – nach seinen Worten – jeden Abend das Publikum entzückt, indem sie auf der Bühne stirbt, stirbt, stirbt und sich danach verbeugt, verbeugt, verbeugt.

Das Ensemble in der Ouverture © filmcoopi

Da trifft die gefährliche Kunst am Abgrund auf die göttliche des Lichtes und des Gesangs. Léos Carax inszeniert das mit einer hinreissenden, flüssigen, fliessenden Ouverture mit den Sparks-Brüdern im Studio am Regler, den Schauspielerinnen und Schauspielern, die gemeinsam aus dem Studio auf die Strasse hinaus ziehen, singend, fröhlich, bis Henry auf sein Motorrad steigt und Ann in ihre Limousine und beide zu ihrem Auftritt fahren.

Marion Cotillard ist Ann © filmcoopi

Der ganze Film ist eine doppelte oder gar dreifache Inszenierung. Dazwischen geschnittene Sequenzen mit Celebrity-News über die Romanze von Henry und Ann und deren Schwangerschaft mit der zu erwartenden Tochter erinnern daran, dass auch wir hier im Kino Zuschauer sind und die Geschichte mit unserer Schaulust vorantreiben.

Leider ziehen sich dann allerdings Gesang und Geschichte in die Länge, Regisseur Carax reiht die Nummern aneinander; die minimalistischen Kompositionen und die eingeschränkte gesangliche Virtuosität der Hauptdarsteller bekommen etwas ähnlich hölzernes wie das von eine Gliederpuppe verkörperte Baby Annette. Mit anderen Worten: Alles wird metaphorisch.

© filmcoopi

Henry stürzt in seinen eigenen Abgrund, verschuldet im Suff den Tod seiner Frau, die Tragik kennt keine Grenzen und Henry auch nicht mehr. Er entdeckt die göttliche Stimme seiner kleinen Tochter und inszeniert sie unter den empört-begeisterten «Ausbeutung!»-Rufen eines globalen Publikums.

Das alles ist ganz grosse Oper – mit allen Nachteilen und Klischees des Genres trumpfartig ausgespielt: Endloses Singen, absehbare Abgründe, ein Crescendo des Untergangs mit einem Wunderbaby als Pfand mittendrin.

Manchmal erinnert Annette an Brian De Palmas Pop-Version des Phantoms der Oper, Phantom of the Paradise von 1974, jenem Jahr, in dem die Sparks ihren grössten Hit landeten. Wo aber De Palma seine Pop-Oper als Persiflage inszenierte, bleiben Carax und die Musik der Mael-Brüder zunehmend ironiefrei und getragen, im zugegeben einfallsreich inszenierten Sturz Henrys dem Abgrund entgegen.

Es gibt Gänsehautmomente in diesem Film und starke Bilder. Aber die Leichtigkeit, die Flüssigkeit des grossartigen Auftaktes, kommen Annette im Verlauf der immer zäher werdenden 140 Minuten abhanden.

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