LINGUI von Mahamat-Saleh Haroun

Maria (Rihane Khalil Alio) und Amina (Achouackh Abakar Souleymane) © Films Boutique

Das afrikanische Kino – soweit es noch existiert – hat sich längst aufgesplittert in unzählige Varianten, die in Europa kaum mehr ankommen. Was sichtbar bleibt, dank der europäischen Festivals und der europäischen Förderszene, ist die Art Autorenkino, welche den Vorstellungen der 1980er Jahre entspricht. Dazu gehören leider auch etliche Filme von Mahamat-Saleh Haroun, wie etwa Grisgris, der vor acht Jahren hier in Cannes zu sehen war.

Festivals, gerade auch das von Cannes, mit seinem Anspruch, das globale Autorenkino zu fördern und sichtbar zu machen, kommen leicht in ein Dilemma: Der «afrikanische» Markt verlangt nach anderen Produkten und Distributionen als klassische Kinofilme, darum gibt es die auch kaum mehr. Es sei denn als europäische Kopropduktionen, mehr oder weniger für den Festival-Bedarf.

Auch Lingui (Verbindungen, Verwandschaft) ist wieder so ein Festival-Zombie, eine belgisch-französisch-deutsch-tschadische Koproduktion.

Amina (Achouackh Abakar Souleymane) © Films Boutique

Die Geschichte der alleinerziehenden Amina im Tschad, welche mit der ungewollten Schwangerschaft ihrer 15jährigen Tochter klarkommen muss, wird erst mal so einfach und direkt erzählt, dass man sich in die Bäckerei Zürrer des alten Schweizer Films zurück versetzt fühlt.

Dabei beginnt der Film durchaus packend. Wir sehen Amina, wie sie aus alten Lastwagenreifen die Drähte herausschneidet, sie zu grazilen Holzbrennkörben verarbeitet und die dann zu Markte trägt. Wir lernen ihren älteren Nachbarn kennen, der sie gerne heiraten möchte, «obwohl sie alle für eine zweifelhafte Frau halten» — wegen ihrer vaterlosen Tochter.

Und wir lernen die Tochter kennen, oder fast. Denn Maria kommt verstört nach Hause, will nicht darüber reden, was passiert ist. Schliesslich findet die Mutter heraus, dass die Fünfzehnjährige von der Schule geflogen ist, weil sie schwanger ist.

Maria (Rihane Khalil Alio) © Films Boutique

Über weite Strecken erzählt Haroun das so simpel, dass das vergleichsweise raffinierte Sound-Design des Filmes besonders auffällt, ähnlich wie die Kamera. Beides ist technisch dermassen hochstehend, dass die Erzählweise und das direkte Spiel der Darstellerinnen im Kontrast dazu besonders abfallen.

Erst zu seinem Ende hin bekommt der Film eine manifeste, überzeichnete Stossrichtung. Es sind die Frauen, die sich solidarisch den Unterdrückungsmechanismen entgegenstellen, mit direkter Reaktion, aber auch mit List und Verschmitztheit. So erfährt man da zum Beispiel, dass es Frauen gibt, welche vorgetäuschte Mädchenbeschneidungen durchführen – die stolzen Väter glauben die Tradition gewürdigt, Mütter und Töchter haben ein gemeinsames Geheimnis mehr.

Aber alles in allem wäre ein Film wie Lingui wohl nicht im Wettbewerb von Cannes, wenn er nicht als Platzhalter für einen Teil der Welt funktionieren müsste.

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